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Cilly Kugelmann fragt danach,

was ein Jüdisches Museum ist

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was ein Jüdisches Museum ist

Cilly Kugelmann: Eröffnungsrede zur Ausstellung des Jüdischen Museum Hohenems „Ausgestopfte Juden“ Geschichte, Gegenwart und Zukunft Jüdischer Museen 26. Juni 2022

Aus dem Jahr 1734 ist ein Reisetagebuch mit folgendem Titel überliefert: „Curieuse Reise-Beschreibung des Herrn Androphili, Darinnen nicht nur Städte, Schlößer, Flecken und Dörffer aus Francken, Sachßen und Schlesien deutlich beschrieben, sondern auch viele Artige, lächerliche und dabey wahrhafftige Historien … „

Zu den „wahrhaftigen Historien“ gehörte das sogenannte „Juden-Cabinet“ in Dresden, in dem der Autor einen ausgestopften Rabbiner in Lebensgröße vorfand, mit Hut auf dem Kopf, einer Brille auf der Nase, vor einem Pult stehend, auf dem ein aufgeschlagener Talmud liegt. Erwähnt werden auch, Geräte wie solche zur Beschneidung und Objekte für die Feiertage.

Auch der zwölfjährige Arthur Schopenhauer war von dieser Ausstellung beeindruckt, als er im September 1800 mit seinen Eltern Dresden besuchte. Er notierte in sein Tagebuch: „… Im ersten Gebäude sind lauter Sachen die die jüdische Religion betreffen. Ein Tempel Salomonis von Holz, vollkommen richtig nachgeahmt u. ausgemessen. Auch sind da viele jüdische Bücher, sehr schön mit hebräischen Buchstaben auf Pergament geschrieben u. aufgerollt, auch viele Instrumente zur Verheiratung, Beschneidung, Scheidung eines Ehepaares und andere jüdische Zeremonien."

Dieses „Juden-Cabinett“, das auf Initiative des sächsischen Kurfürsten August den Starken eingerichtet wurde, gilt als das historisch erste Jüdische Museum oder genauer: es ist die erste Ausstellung, die Artefakte jüdischer Kultur zeigt. Dieses 288 alte Kabinett könnte auch heute genauso, oder so ähnlich, in einem Jüdischen Museum stehen …

Durch die Tracht dieser Puppe, die hebräische Handschrift und die anderen Objekte ist die Figur leicht als Jude zu identifizieren. Hier haben wir einen „jüdischen Kontext“, der durch die Einbettung in die Gelehrsamkeit der Synagoge eindeutig ist. Was aber, wenn man das Feld des unmissverständlich Religiösen verlässt und sich anderen Themen zuwendet, die mit dem Adjektiv „jüdisch“ bezeichnet werden?

Was bedeutet die Eigenschaft „jüdisch“? Bezieht sie sich auf den Besitzer der Institution? Auf die Geldgeber? Sind es die Gegenstände, die das Museum zeigt? Können Objekte jüdisch, katholisch oder deutsch sein? Begeben wir uns mit der Behauptung einer „jüdischen Eigenschaft“ nicht auf das gefährliche Glatteis der Ressentiments und Vorurteile? Schlagworte, wie „jüdisches Kapital“ oder „jüdische Spekulanten“ gehören zum Standard-Vokabular des Antisemitismus.

Mit diesen Überlegungen sind wir schon mittendrin in dem Konflikt, mit dem sich früher oder später womöglich jedes „Jüdische Museum“ irgendwann konfrontiert sieht, zumindest dann, wenn es um Themen geht, die außerhalb der religiösen Bestimmung liegen. Nicht etwa, weil es ein „J-Wort“ gibt, analog zum „Z-Wort“ oder zum „M-Wort“, die als Ausdruck rassistischer Zuschreibungen nicht mehr ausgesprochen werden sollen, sondern weil das Adjektiv eine Funktion beschreibt, die es eigentlich gar nicht gibt.

Im Juni 1966 hielt der US-amerikanischer Kunst- und Kulturkritiker Harold Rosenberg am Jüdischen Museum in New York City einen Vortrag, in dem er den Initiatoren spöttisch vorwarf: „Erst bauen Sie ein jüdisches Museum, dann fragen Sie: Gibt es eine jüdische Kunst?“ Seiner Meinung nach „gibt es eine nichtjüdische und eine jüdische Antwort. Die nichtjüdische Antwort lautet: Ja, es gibt eine jüdische Kunst, und Nein, es gibt keine jüdische Kunst. Die jüdische Antwort lautet: Was meinen Sie mit jüdischer Kunst?“

Die Frage, was das „Jüdische“ in Jüdisches Museum ist, ist so alt wie diese Museen und hängt mit der Entwicklung und den Veränderungen in der Auffassung vom Judentum selbst zusammen.

Das westliche, aschkenasische Judentum trägt bis heute schwer am Erbe der Französischen Revolution. Vor die Gewährung der bürgerlichen Gleichheit hat der französische Offizier und Politiker, Graf Stanuslaus von Clermont-Tonnere, im Jahr 1789 die berühmte Forderung gestellt: „Den Juden als Nation ist alles zu verweigern, den Juden als Menschen aber ist alles zu gewähren.“ Damit zerstörte er unwiderruflich die althergebrachte, idealtypische Einheit von Stammeszugehörigkeit mit der religiösen Praxis. Beides gehörte unauflöslich zusammen und wurde nun getrennt, indem Religion zur privaten Angelegenheit erklärt und alle Reglungen, die das Kollektiv betreffen, wie die Kaschrut, die indogame Ehe und die Beschneidung in Frage gestellt wurden. Von diesem Zeitpunkt an entwickelt sich eine Vielfalt von jüdischen Lebensentwürfen, die ständig neu diskutiert und verhandelt werden müssen.

Welche Auswirkungen das haben kann, erläuterte eine Journalistin in einem Artikel in der New York Times, in dem das Schwinden jüdischer Politiker in den USA beklagt wird, die traditionell die Demokraten unterstützt haben: "Wissen Sie“ schreibt sie „es gibt 57 verschiedene Arten von Juden. Wir sind rassisch, politisch und religiös so vielfältig, dass es manchmal an Wahnsinn grenzt“ … "Man braucht jemanden im Raum, der unsere Unterschiede entschlüsseln und die Komplexität unserer Themen erklären kann“.

Genau das hat sich das Jüdische Museum der Stadt New York City inzwischen vorgenommen zu haben, wenn es auf seiner Website erklärt, dass es sich zur Aufgabe gestellt hat die „Komplexität und Lebendigkeit der jüdischen Kultur für ein weltweites Publikum zu beleuchten“.

Die meisten Jüdischen Museen versuchen erst gar nicht zu definieren, was sie unter „jüdisch“ verstehen, weil jede Festlegung Widerspruch provoziert und Türen schließt, anstatt welche zu öffnen.

Im heutigen Deutschland ist in der öffentlichen Wahrnehmung das „Jüdische“ mit dem Holocaust verbunden, der Massenmord an den europäischen Juden wird als Ausdruck des Antisemitismus gewertet, weshalb der Kampf gegen Antisemitismus, oder gegen das, wofür er gehalten wird, oberste Priorität hat. Von den Jüdischen Museen wird erwartet, dass sie durch die Präsentation „jüdischen Lebens“, ihren Teil dazu beitragen, was implizit bedeutet, dass davon ausgegangen wird, dass es eine kausale Beziehung zwischen den „real existierenden Juden“ und dem Antisemitismus gibt, eine beunruhigende Fehleinschätzung.

In Israel hat es bis vor kurzem kein „Jüdisches“ Museen gegeben. Die jüdisch-ethnographischen Sammlungen und Ausstellungsabteilungen liegen in der Obhut des Jerusalemer Israel-Museums. Inzwischen erheben zwei israelische Museumsprojekte den Anspruch „Judentum“ neu zu definieren. Das erste, mit der Bezeichnung „WIR“ wurde kürzlich in der Nachfolge des Diaspora-Museums in Tel Aviv eröffnet, das zweite, unter dem bescheidenen Titel „World's Jewish Museum“ soll in zwei Jahren fertig sein.

Beide bezeugen den Paradigmenwechsel von Israel als einem „Judenstaat“ im Sinne von Theodor Herzls Vision von einem von Juden gegründenden Staat, zu einem „Jüdischen Staat“, der „Judentum“ als nationalen Kategorie versteht. Mit diesen Entwicklungen innerhalb der Welt der Jüdischer Museen werden wir uns in Zukunft noch zu beschäftigen haben.  

Werfen wir nun einen kurzen Blick auf die Frage, was potenzielle Besucher von Jüdischen Museen halten, besonders jene, die nicht im Museum selbst befragt werden. Vor einigen Jahren hat die hauseigene Museumsforschung des Jüdischen Museum in Berlin Passanten an Flughäfen, Bahnhöfen und Einkaufszentren gefragt, ob sie Interesse hätten, das Jüdische Museum zu besuchen. Die verblüffende Antwort vieler Befragten bestand in dem Hinweis, sie seien keine Juden und sähen daher auch keinen Grund ein solches Museum zu besichtigen. Interessant an dem Befund ist, dass es den Jüdischen Museen offenbar nicht gelungen ist, sich als „Ort des Dialogs über die Vielfalt gesellschaftlicher Strukturen“ bekannt zu machen, wie es in vielen ihrer Mission Statements zu lesen ist, sondern als eine Art säkulare Synagogengemeinde wahrgenommen werden.

Einige der US-amerikanischen Jüdischen Museen verfolgen in der Tat das Konzept, ein Museum von Juden für Juden zu sein, was es durchaus zu Beginn des 20. Jahrhunderts auch in Europa gegeben hat. In den meisten jüdischen Museen der USA ist den jüdischen Kuratoren und Museumspädagogen daran gelegen, durch die Vermittlung jüdischer Kultur universalistische amerikanische Werte zu stärken. Das „National Museum of American Jewish History“ in Philadelphia möchte „… bei Menschen jeglicher Herkunft eine größere Wertschätzung für die Vielfalt der amerikanisch-jüdischen Erfahrung und die Freiheiten wecken, die Amerikaner anstreben …“

Mit Hinblick auf die pädagogische Perspektive unterscheiden sich die amerikanischen Institutionen nicht von den hiesigen. Bei der Frage nach den Mitarbeitern jedoch, wird in den USA viel stärker auf die Herkunft aus einer jüdischen Familie geachtet. Nicht nur seit „wokeness“ ein Thema ist, - das amerikanische Konzept für die Bewusstmachung mangelnder soziale Gerechtigkeit und Rassismus, haben US-amerikanische Institutionen wert daraufgelegt, dass jüdische Inhalte von vermeintlich authentischen Stimmen vermittelt werden. Diese Haltung hat europäische Hochschulen bereits erreicht, erfreulicherweise aber noch nicht alle Jüdischen Museen, die hoffentlich unbeeindruckt von Herkunftskategorien weiterhin auf die Expertise ihrer Mitarbeiter setzen, und nicht auf die Geburtsurkunde.

Museen, die die Geschichte und Kultur einer Minderheit präsentieren, in den USA beispielsweise das „Museum of the American Indian“ oder das „National Museum of African American History & Culture“ müssen sich sehr gut überlegen, mit welchem Profil diese Gruppe der Öffentlichkeit vorgestellt werden. Die museale Behandlung von Minderheiten wird von den Mitgliedern dieser Gruppen nicht selten als Enteignung ihres Lebens erfahren. Spannungen im Bereich jüdischer Museen können besonders dort aufkommen, wo es eine einflussreiche Jüdische Gemeinde gibt, deren Verständnis vom „Jüdischem“ im Gegensatz zu den im Museum thematisierten Inhalten stehen. Ein Beispiel hierfür ist eine Protestnote des Zentralrats der Juden in Deutschland gegen die Ausstellung „Weihnukka, Geschichten von Chanukka und Weihnachten“, die 2005 im Jüdischen Museum Berlin gezeigt wurde. Der Zentralrat erhielt Ankerkennung und Zustimmung von vielen Nichtjuden für die Einführung eines neuen, jüdisch-christlichen Feiertags, was ihnen sichtlich peinlich war. Interessant an diesem Vorfall ist die Verunsicherung, die ein Jüdisches Museum bei jüdischen Institutionen auslösen kann, die, anders als die Museen, die Deutungsherrschaft über das Jüdische beanspruchen während die Museumsbesucher davon ausgehen, das Museum und Gemeinde zusammengehören.

Das Dilemma des „Jüdischen“ lässt sich eindrucksvoll am Beispiel der Geschichte des New Yorker Jüdischen Museums verdeutlichen, das mehrmals in seiner hundertjährigen Geschichte das „Jüdische“ in seinem Namen neu definiert hat. Der Kunsthistoriker Avram Kampf, der an der Hebräischen Universität lehrte, beschrieb 1969 im „Jewish Digest“ seine Erfahrungen als Direktor dieses Museums:

„Mit dem Jüdischen Museum stimmt etwas nicht. Das lässt sich aus den häufigen Rücktritten von Mitarbeitern in den letzten 10 Jahren ableiten. In fast regelmäßigen Abständen ist das Museum mit der Suche nach einem neuen Direktor, einem stellvertretenden Direktor oder einem Kurator beschäftigt. Und nun, nach mehreren Ausstellungsperioden, in denen vor allem Avantgarde-Kunst ausgestellt wurde, ist der letzte Direktor zurückgetreten, weil das Museum "zu jüdisch" geworden sei. Es drängt sich der Verdacht auf, dass die Institution nicht sicher ist, was ihre Aufgaben sind oder was sie in Zukunft sein möchte“.

Der Fokus auf die erwähnte Avantgarde Kunst, mit dem das Museum Ende der 1960er Jahre zur wichtigsten Adresse für zeitgenössische Kunst in New York City wurde, hing mit der Auffassung zusammen, dass die gegenstandlose Kunst als „jüdischer Ausdruck“ des Bilderverbots einen Beitrag zum zeitgenössischen Kunstgeschehen darstelle. Junge Avantgardisten wurden ohne Ansicht von Herkunft und Religion ausgestellt, finanziert durch wohlhabende jüdische Sammler und Mäzene, die ihr Engagement ein Zeichen für Weltoffenheit und Integration verstanden. Das „Jüdische“ waren nun nicht mehr die Objekte des traditionellen Judentums, sondern das kreative Mitgestalten der aktuellen Moderne.

Gegen diese Entwicklung wendete das Jewish Theological Seminary, der historische erste Standort des Museum, des was sich an einem Konflikt entlud, der das gegensätzliche Verständnis zu den Grenzen des „Jüdischen“ betraf. Das Seminary hatte ein Problem mit einer Kreuzigungs-Skuptur des israelischen Künstlers Igal Tumarkin, der in eine Ausstellung zur israelischen Kunst eingeladen wurde. Eine rabbinische Schiedskommission wurde eingesetzt, die klären sollte, ob ein Jüdisches Museum der passende Ort für ein Kunstwerk mit diesem Titel sei. Ihr salomonisches Urteil: weil die Arbeit nicht „die“, sondern lediglich „eine“ Kreuzigung darstellte, durfte sie bleiben.

30 Jahre später war es wieder ein christliches Symbol, das den Direktor eines jüdischen Museums bewog, ein Exponat neu zu produzieren. Diesmal war es der Direktor des Frankfurter Jüdischen Museums, dem die Darstellung eines unübersehbar großen Kreuzes in seinem Museum nicht geheuer war. In der Ausstellung „Mit Thora und Todesmut“, wurde das Highlight-Objekt, ein Fersenbein mit einem rostigen Nagel, eine Leihgabe des Israel-Museums, mit Hilfe einer großen Grafik-Tafel erklärt, die eine römische Kreuzigung zeigte. Für das Frankfurter Museum wurde die Tafel in eine Objektbeschriftung verkleinert, in der das Kreuz auf wenige Zentimeter schrumpfte.

Der Vorläufig letzte große Konflikt um die Definition des „Jüdischen“ ereignete sich am Jüdischen Museum Berlin, wo vor wenigen Jahren ein katholischer Judaist und Historiker den Gründungsdirektor, einen amerikanischen Juden aus einer säkularen Berliner Familie, als Leiter ablöste. Mit Hinweis auf seine akademische Ausbildung versprach er anlässlich seiner Ernennung, das Museum „jüdischer“ zu machen, als ironischen Verweis darauf, dass sein jüdischer Vorgänger mit spitzbübischer Freude keine Gelegenheit ausließ, auf seine mangelnden jüdischen Kenntnisse hinzuweisen. Nach einem Konflikt mit dem schon erwähnten Zentralrat der Juden, ausgelöst durch den Empfang des Kulturattachés der iranischen Botschaft, stellte dessen Präsident den „jüdischen Charakter“ des Museums Frage. An der inhaltlichen Expertise des kritisierten Direktors konnte es nicht liegen, einem international anerkannten Gelehrten jüdischer Geschichte, sondern an der unterstellten fehlenden Loyalität dem Staat Israel gegenüber, für den der Iran eine tödliche Drohung darstellt. Damit ist zugleich die Definition des „Jüdischseins in Deutschland“ angesprochen, die untrennbar mit der Unterstützung Israels verbunden ist.

Ich werde den Verdacht nicht los, dass die Vertreter der Jüdischen Gemeinschaft die Verknüpfung des „Jüdischen“ mit der bedingungslosen Loyalität dem Staat Israel gegenüber einem Nichtjuden nicht zutrauen. Damit stellen sie sich gegen einen der bedeutendsten Gelehrten des Judentums, Gershom Scholem, der darauf bestand, dass man kein Elefant sein muss, um Zoologie zu lehren. Solange sich die Jüdischen Museum an Scholem ein Beispiel nehmen, sehe ich ihrer Zukunft optimistisch entgegen.

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Danke für deinen konstruktiven Kommentar

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