Auf geradezu paradigmatische Weise verknüpft sich in der Biografie des Laienethnologen und Militärs John Gregory Bourke (1846-1896) die Obsession des Sammelns mit dem Interesse am Unrat. Eines seiner ebenso zahllosen wie umfangreichen Werke ist ein Skatalog, ein Lexikon, ein alphabetisches Verzeichnis all jener Riten und Praktiken aller Völker im Umgang mit Abfall, Kot, Müll, Unrat. Bourke zog in diesem Werk gleichsam einen Grenzzaun um alles Fremde, indem er Kot und Ekel als Kriterium der Unterscheidung, als Index der Abweichung von eigenen Verhaltensweisen, in einer endlosen Liste zusammenfasste.
Diese Liste beruhte im wesentlichen aus dem Exzerpieren einschlägiger Literatur, aber auch auf eigenen Erfahrungen, wie jener, die als auslösend für seine Beschäftigung mit dem Thema gilt, als er einer Zeremonie der Medizinmänner der Nehue-Cue in Neu-Mexiko beiwohnte. Die literweise Urin trinkenden Indios erregten den besonderen Ekel Bourkes. Stephen Greenblatt vermutet in der Zeremonie eine Parodie westlicher (katholischer) Riten, die auch dazu gedient hätten, auch Bourke selbst lächerlich zu machen.
Stephen Greenblatt: Schmutzige Riten, in: Ders. (Hg.): Schmutzige Riten. Betrachtungen zwischen Weltbildern. Frankfurt 1995, S. 31ff.
Bourkes Werk erschien 1913 unter dem Titel: Der Unrat in Sitte, Brauch, Glauben und Gewohnheitrecht der Völker - mit einem Vorwort Sigmund Feuds. Eine Auswahl aus diesem Werk wurde unter dem Titel Das Buch des Unrats mit einem instruktiven Nachwort von Louis Kaplan, der den Zusammenhang von Entstehung der Ethnologie und der militärischen Ausrottungskampagnen in Nordamerika untersucht, 1992 im Eichborn Verlag Frankfurt publiziert.
Gottfried Fliedl
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