Am 28. und 29. Juni 2021 fand das erste Treffen von museumdenken im Jüdischen Museum Hohenems statt. Ziel war es, in einer offenen Diskussion brennende Themen und Bedürfnisse der Museen und ihrer Mitarbeitenden herauszufiltern und daraus gemeinsam Rahmenthemen für die weitere Arbeit von museumdenken zu benennen.
Dieses Kurzprotokoll stellt eine Zusammenstellung der erarbeiteten Themen und gemeinsamen Gedanken dar.
Anwesende: Renate Flagmeier (RF), Alina Gromowa (AG), Angela Jannelli (AJ), Thomas Thiemeyer (TT), Thomas Sieber (TS), Regina Wonisch (RW), Roswitha Muttenthaler (RM), Cilly Kugelmann (CK), Felicitas Heimann-Jelinek (FHJ), Hannes Sulzenbacher (HS), Niko Wahl (NW), Gottfried Fliedl GF), Hanno Loewy (HL), Anika Reichwald (AR)
Ein(e) Teilnehmer(in): Ich möchte nicht, dass Pomian recht behält
Die erste Frage lautete: Welche Museums-Fragen beschäftigen derzeit am meisten? Welche Themen fehlen in der öffentlichen Debatte? Welche Fragen kommen erst gar nicht vor? Über welche Zukunft des Museums diskutieren wir?
GF leitet mit einer kurzen Schilderung ein, wie museumsdenken und mit welchen ersten Fragen entstanden ist. In der Corona-Krise zeigte sich, dass Museen Schwierigkeiten haben, sich gegenüber der restriktiven Pandemie-Politik zu behaupten und ihre Rolle selbstbewusst zu definieren. Obwohl Museen lange geschlossen wurden, kam es zu einer nur sporadischen öffentlichen Aufmerksamkeit, kaum zu einer Debatte. museumdenken ist erst einmal eine Initiative, um an eine Öffentlichkeit zu gelangen, um Öffentlichkeit überhaupt erst herzustellen. Museen sind generell der Debatte eigentümlich entzogen, weil sie weithin als in ihrer „Wahrheitsproduktion“ wie unantastbar akzeptiert werden.
Hier setzte die Diskussion ein: Wer ist die Öffentlichkeit überhaupt? Sind nicht die Nutzer des Museums von den Meta-Debatten über Sinn und Unsinn der Institution und deren Zukunft ausgeschlossen? Bürgergesellschaftliche Beteiligung, also über die (fragliche) Professionalität der diversen Museumsberufe hinaus ist wünschenswert und könnte eine Aufgabe von museumdenken sein.
COVID hat (manche) Museen aufgeschreckt; jedenfalls wuchs der Bedarf an öffentlicher Rechtfertigung, an der Formulierung von Zielen und gesellschaftlichen Aufgaben/Funktionen einer Institution, deren symbolisches Kapital plötzlich infrage gestellt wurde – als nicht „systemrelevant“ und von Schließungen eher betroffen als diverse Dienstleister.
RM: Frage ist, braucht eine Gesellschaft bzw. Mitglieder einer Gesellschaft Kultur/Museen oder ist die Frage eher, ob eine Gesellschaft/einzelne Kultur/Museen wollen muss, ein Begehren vorliegt. Wer kann Begehren entwickeln, wer nicht? Was braucht es dazu?
In Bezug auf Covid: Wo hat Krise zu einem Umdenken in Museen geführt?
Bundesmuseen schickten hunderte Mitarbeiter:innen in Kurzarbeit, nicht nur Kassa und Aufsicht. Warum wurde Gelegenheit nicht genutzt, jenseits der oft beklagten tagtäglichen Arbeitsbelastung die eigene Praxis zu reflektieren, neue Strategien zu diskutieren und entwickeln etc.
Thema Digitalisierung
Ein(e) Teilnehmer(in): Es sind alle gleich ungeschickt in die Digitalisierung gestolpert
Eine der reaktiven Strategien auf Covid war Digitalisierung, das vermehrte Engagement der Museen im Medium Internet. In der Diskussion einigte man sich rasch darauf, dass sowohl die Transformation des Objekts als auch des sozialen und architektonischen Raums ins Digitale eine Grenze der Digitalisierung darstellen und die Idee einer Substituierung ausschließen. Dass aber viele neue Möglichkeiten und Optionen auftauchen und sinnvoll sein werden.
RM: Wie weit können hier auch ästhetisch-sinnliche Überraschungsmomente in der Rezeption, in der der räumlichen Ausstellungserfahrung, digital übersetzt werden`?
Museum als sozialer Raum und Forum denkt den physischen Raum. Kann Digitalisierung solche Funktionen übernehmen oder diese ergänzen? Wie generationsbedingt sind die Formen?
Möglichkeiten und Gefahren der Digitalisierung? Überhaupt: Änderung der Mediennutzung; generationell.
Gibt es so etwas wie inkludierende Digitalisierung? Digitalisierung – ein Generationenthema?
Thema soziale Rolle der Museen
Ein(e) Teilnehmer(in): Museum als existenzieller Raum; es geht um Leben und Tod
Die Debatten um Inklusion – die von vielen sich ausgeschlossen wähnenden Gruppen gefordert wird - haben eher kulturell-ethnische Gruppen im Auge als sogenannte bildungsferne Personen. Die sozial distinktive Funktion von Museen, ihr „Klassismus“, ihre hegemoniale Funktion gehören zu den undurchdringlichsten Tabus. Doch im Museum wirken soziale Ausschlüsse.
Museum als Ort, an dem soziale Ungleichheit aufgehoben werden kann, soll? An dem sie gar nicht aufgehoben werden kann?
Tendenzen der „wokeness“ als Teil von Inklusion?
Frage nach Generationen, Vermittlung für jüngeres Publikum
Klassismus: „Class“ am wenigsten beachtete Kategorie intersektionaler Zuschreibung; was ist dran an der Diagnose vom Auseinanderfallen, der Spaltung der Gesellschaft und was bedeutet das fürs Museum? Gibt es da Verschiebungen beim Publikum, ändert sich seine (soziale) Zusammensetzung? Was ist mit dem behaupteten Schrumpfen des „Bildungsbürgertums“ als Adressat und Träger des Museums? Was bedeutet das empirisch belegbare Wachsen sozialer Ungleichheit für das Museum?
Museum als neue Form von Öffentlichkeit: Jean Tamuv: „konfliktionaler Konsens“. Als „agonaler“ Ort (Chantal Mouffe). Fokus auf öffentliche vs. Private Institution – Binnendifferenz. Öffentlichkeit schrumpft – was heißt (noch) zugänglich? Blick auf bereits demokratische Institutionen; das Museum als gesellschaftspolitischer Verhandlungsort, in dem „agonale“ Öffentlichkeit hergestellt wird, also konflikthafte Themen auch im Medium des Konflikts bearbeitet werden müssen.
Müssen Museen relevant sein - relevant für alle? Was kann das heißen, „relevant“? Wer „will“ überhaupt Kultur oder, aus welchen Gründen, nicht? Welche Vorstellung von Kultur existiert? Welche Vorstellung von Museum existiert?
Wie würden sich Veränderungen abbilden? Im Programm; am Publikum; am Personal? In der Vermittlungsarbeit (Bsp. Museum der Dinge: Outreach Kuratorin), in der Vereinfachung von Text und Sprache? Aber wie einfach darf man sein - es geht ja nicht nur darum, sprachlich verständlich zu sein?
Frage nach Ungleichheit – soziale Dimension; Welches Publikum will man erreichen? Lokal, international (Blockbuster); das Phänomen, das unter Corona-Bedingungen sichtbar geworden ist: Blockbuster-Ausstellungen und nicht nur sie zehren eher von einem touristischen als von einem „heimischen“, lokalen Publikum.
Museum als Ort von (durchgesetzter, fließender, verhandelbarer...) Identität
Thema Museumspolitik
Frage nach Finanzierung und Rechenschaft: Einerseits wird das Museum aus Steuermitteln finanziert, aber einen Einfluss haben die Museumsnutzer:innen nicht. Was für einen Auftrag hat die Gesellschaft eigentlich ans Museum? Was ist der Auftrag der Politik – oder wer formuliert einen Auftrag?
RM: Welches Committment/Engagement/Verpflichtung strebt das Museum an? Wer formuliert den Auftrag des Museums? Was ist das entsprechende Forschungs-/Sammlung-/Ausstellungsprofil? Welches Publikum wird gedacht? Wie muss Organisationsstruktur und Personalpolitik aufgesetzt sein?
Und wem ist das Museum verpflichtet? Mit welcher Verantwortlichkeit? Wie findet es z.B. seine Themen? Woraus ergeben sich Themen? Was ist ein Thema?
Sollen Museen auf Ereignisse in der Gesellschaft reagieren? Geht es um kritische Themen in Ausstellungen und Begleitprogrammen? Möglichkeit der Beziehungsbildung zwischen Oppositionen, Museen als Orte des Austragens von konflikthaften Themen. Wo liegen Kontroversen?
Thema Partizipation und Inklusion
Ein(e) Teilnehmer(in): Museen wollen bei Partizipation nicht lernen, sie wollen Partizipation ausstellen
Kultur valorisiert, positive Valorisierung, heißt Anerkennung seines Gegenübers. Es geht darum, mit Gruppen anerkennend im Museum zu kommuniziert; hier haben die Museen auch Erfolgserlebnisse im Zugang auf museumsferne Gruppen. Adressierung erfolgt über Inhalte.
RM: Alternatives Museumsverständnis: Befragen, wie Entscheidungen getroffen und umgesetzt werden und Steuerungsmechanismen funktionieren, Reflexion als hegemoniale und elitäre Institution
Idee des Museums als Ort des konfliktualen Konsenses, der Anerkennung des Agonistischen in einer Vertrauensatmosphäre
Das Museum ist ein Raum, in dem Vertrauen hergestellt wird, in dem Überraschungen ausgehalten werden können
Partizipation – bloßes Mitmachen oder entscheidendes Eingreifen in die Regeln der Institution, und das selbst um den Preis, dass die Machtstrukturen der Institution sich aufzulösen beginnen?
Ist Partizipation ein Weg, auch als Forschungsansatz/Wissensschöpfung? partizipatorischer action research; exhibition as research.
Im Museum geht es um leibliche, sinnliche Erfahrung, NICHT allein um Wissenstransfer; emotionale Komponente der Arbeit im Museum/mit Menschen; Museum ist Beziehungsarbeit; Kurator leitet sich von „curare “ ab
Ist es nicht an der Zeit, neue Produzent:innen (organische Synergien) ins Museum holen. Oder noch weiter gefasst: Museum als Plattform für Menschen, Geschichten, Perspektiven- unter der Bedingung, dass das Museum als Ort des Vertrauens funktioniert
Thema Selbstbild, Selbstverständnis des Museums
Ein(e) Teilnehmer(in): Wir erzählen immer dieselben Inhalte und wundern uns über die, die das nicht (mehr) hören wollen
MUSEUM: Wer sind wir? Was brauchen Museen eigentlich? Ist es (noch) Bildungseinrichtung? Entertainment? Freizeiteinrichtung? Teil der Tourismuswirtschaft?
Welchen Auftrag hat eine Institution? Wir wird der Auftrag interpretiert?
Thema Arbeitsbelastung, sehr oft gehört: Die Tagesarbeit lässt kein Innehalten innerhalb der Praxis zu.
Aktivitäten des Museums als Arbeitsort, seine governance, Mitbestimmung; steile Hierarchie; Intendantenprinzip; Partizipation nach Innen; organisatorische Defizite; Rollenbilder; das Museum als Arbeitsplatz
RM: Sozialer Status wird von Museen nicht grundsätzlich hinterfragt. Es bedarf veränderter struktureller Organisationsformen und Bedingungen, neue Produktionsformen.
Ist das Museum ein Ort, in dem die vorhandene gesellschaftliche Ungleichheit aufgehoben oder produktiv verhandelt werden könnte? Indem Menschen Bühnen erhalten, Perspektiven erfahren und erarbeiten?
In jeder Adressierung ist ein Moment der Zuschreibung. Hier liegt auch das Problem von Zugänglichkeit für von Museen eher Ausgeschlossenen
Was braucht ein Raum, damit eine Vertrauensatmosphäre hergestellt werden kann und so auch Auseinandersetzung möglich ist.
Sammeln als Wertschöpfung – mit welcher Relevanz?
Es mangelt an Sammlungspolitik; im Grunde müsste bei jedem Objekt, das erworben wird, eine Begründung für seinen Erwerb erfolgen
Museen sind lehrende und lernende Organisationen - sind sie das wirklich: lernende Organisationen? Frage nach (Macht)Strukturen innerhalb des Museums.
RM: Könnte folgendes Zitat eine Anregung sein? „Man müsste eine Kultur schaffen, in der man lernt, das zu hören, von dem man nicht weiß, dass man es überhört.“ Nanna Heidenreich
Wie berechtigt ist das Sprechen über Professionalität, der Museumsarbeit, des Ausstellungsmachens generell, der Qualifikation einzelner Museumsberufe? Kann man, soll man professionelle Museen von nicht professionellen unterscheiden dürfen? Für den zentralen „Beruf“ Kurator gibt es keine Ausbildung, nicht mal ein Berufs-“Bild“. Ist Ausstellen eine künstlerische Leistung?
RM: Anspruch auf Vereinfachung: wie anspruchsvoll soll kuratieren, ausstellen, schreiben sein? Ist das die richtige Frage? Sie darf auf alle Fälle nicht rein in Richtung Wissensvermittlung gedacht werden, sondern inwieweit Ausstellen einen Raum für existentielle Fragen bietet.
Strategie sollte nicht sein, sich zu überlegen, wie Leuten hinterherzurennen ist, sondern dass relevante Themen aufgegriffen werden und entsprechende, auch interdisziplinäre Mittel eingesetzt werden z.B. bei der Ausstellung „Haut ab“ ein türkisches Theater
Haltung der Produzent:innen/Akteur:innen. Frage der Selbstreflexion
Demokratie und Autorschaft: Wer spricht mit? Auf wen antwortete man? Wem ist man verpflichtete? Committment – gegenüber Publikum/Hörerschaft (langfristig /festgehalten/offen kommuniziert)
Thema Neoliberalismus
Ein(e) Teilnehmer(in): Wir verteidigen die Demokratie, praktizieren sie selber aber nicht
Neo-Liberalismus als Krise des Museums schon vor COVID. Entwicklung des Museums hin zum „Dienstleistungsbetrieb“ dessen Effizienz sowohl an der Zahl der „Kunden“ (Besucher-“Umsatz“) gemessen wird als auch am Eigendeckungsgrad. Museen werden immer unternehmensförmiger gedacht und auch betrieben (s. die Etablierung von neben den bisherigen Leitungen gleichberechtigten „Finanz“-Managern an den Bundesmuseen). Museen fördern selbst die Vorstellung vom Museum als Unternehmen, das Bewusstsein von der steuerfinanzierten „wohlfahrtsstaatlichen“ Institution wird schwächer.
Zerfall bürgerlicher Öffentlichkeit, Angriffe auf b.Ö.
Neoliberalismus: vermehrter Einfluß Privater auf die Museen, die deren Image und Profil prägen, Batliner/Albertina; Albertina neu als Sammlermuseum; Ludwig-Stiftung; Sammlung im Bührle im neuen Zubau des Kunsthauses Zürich; private Museen, etwa Heid Horten in Wien; Banken und Konzerne als Betreiber von Kunsthallen bzw. als Sammler und Sponsoren (Generali; Bawag, Bank Austria etc.). Es gibt kein Zurück VOR die neoliberale Entwicklung.
RM: Neoliberale Transformation von Museen: Verständnis als Dienstleister für Tourismus etc., als Betrieb/Unternehmen.
Antimuseale Argumentation: Erbe/Sammlung und Forschung als kostspielige Belastung versus Event-/Unterhaltungs-/Prestigeangebote mit Einnahmen und Besuchszahlen als Marker des Erfolgs
Muss man nicht mit einer Verschärfung bestehender Krisenmomente rechnen, mit einer Vertiefung, Beschleunigung neoliberaler Transformation: Museum als Dienstleistungsbetrieb versus öffentliche Institution?
Neoliberalismus: Abwertung von Bildung; der Geisteswissenschaften; Schwächung der Forschungskompetenz der Museen. Gab es eine Entwicklung der museumsnahen Forschung während Covid? Hat Covid zu neuen Formen des Forschens geführt?
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