Die Summe der kollektiven Bedeutungen der Dinge soll also die Nationalgeschichte ergeben. Zweifellos ist diese Materie gefährlich; aus dem Zusammenhang kann eine Logik entstehen, die im besten Falle eine künstliche Logik, im schlimmsten eine Scheinlogik ist. Die Geschichte erscheint als eine „nicht zufällige“ Abfolge, die Aufreihung der Gegenstande ergibt ex post eine Sinngebung. Die Geschichte erhebt sich aus dem verworrenen Handeln der Menschen und wird zur logischen Geschichte, zur Heilsgeschichte, wobei dann angenommen wird, der gegenwärtige Zustand sei das Heil.
(...) Gegenstände neigen nur allzu leicht dazu, eine solche Logik zu erzeugen. Ein schönes Beispiel sind die Pfahlbauer. Sie waren einst der Stolz der Schweizerischen Nationalgeschichte, und es gab kein Schulhaus, in welchem nicht die Bilder vom Alltagsleben der Pfahlbauer hingen: Die Mutter sitzt auf den Brettern vor der Hütte und schaut über den See, ob der Mann schon vom Fischen heimkehrt; die Männer schleppen den erlegten Baren zum Schiff, voller Vorfreude auf die Begrüßung im Pfahlbauerdorf. Die Pfahlbauer waren so schon wie logisch, und als in den dreißiger Jahren deutsche Gelehrte erstmals publizierten, daß es die Pfahlbauer gar nicht gab, führte dies sogar zu diplomatischen Verwicklungen mit der Eidgenossenschaft. Deutlich spürten die Schweizer, daß sich hier die kulturelle Eroberung und Vernichtung ihres Landes vorbereitet: nicht zufällig kam damals auch Hitler zur Macht...
Burckhardt, Lucius: Wie kommt der Müll ins Museum? Kassel 1989.
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