Im Juni 2021 haben wir einen Text veröffentlicht, der dem Museum den Untergang voraussagt. Autor war der Museologe Krzysztof Pomian, der diesen Vortrag auch in der FAZ veröffentlicht hatte. Pomian rechnete nicht nur mit dem Zusammenbruch der Institution auf Grund der Corona-Pandemie und der Klimakrise, er sagte auch voraus, dass mit aggressiven Attacken auf das Museum zu rechnen sei, weil es sich angesichts der Krisen als hilf- und nutzlos erweisen werde.
Der Text hat Ablehnung hervorgerufen, aber auch dazu angeregt, sich mit seinen Argumenten auseinanderzusetzen. So entstand unser erster Debatten-Schwerpunkt „Museumsutopie– Dystopie“, mit dem unser Projekt museumdenken Fahrt aufnahm.
Über eineinhalb Jahre nach der Veröffentlichung von Pomians Text ist die Krisensituation komplexer denn je. Der Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt, schuf eine von niemandem erwartbare Bedrohung und löste wirtschaftliche Folgen aus, die wir alle zu spüren bekommen.
Neue Nationalismen, der Rechtsruck in vielen bislang als stabile Demokratien geltenden Staaten, die generelle Erosion des Demokratischen, die ungelösten, sich verschärfenden Probleme der Migration bündeln sich in dystopischen Prognosen von Stillstand und Zukunftslosigkeit.
Welche Zukunft des Museums können wir dem entgegenhalten? Wie kann diese Institution dem politischen und ökonomischen Druck standhalten? Wie kann das Museum, dessen Entstehung vor über zweihundert Jahren untrennbar mit republikanischen Ideen verknüpft war, etwas zu demokratischer Kultur beitragen? Welchen Wert hat die Beschäftigung mit der Vergangenheit, wenn sich der Zukunftshorizont derart verengt?
Für diese und andere Fragen stellt der Debattenschwerpunkt Museumsutopie – Museumsdystopie ein Forum dar, das allen offensteht und zu dessen Nutzung wir nachdrücklich einladen.
Gottfried Fliedl, im Februar 2023
Da muss die (Museums)Welt noch sehr in Ordnung gewesen sein – auf der ICOM-Generalversammlung vor über zwanzig Jahren. Als Eröffnungsredner schmeichelte der Philosoph Neil Postman den Anwesenden mit einem Bild des Museums, dessen gesellschaftliche Bedeutung er kaum überbietbar als universal definierte: Angesichts ökologischer, ökonomischer und sozialer Weltprobleme „müssen ... [die] Erziehungseinrichtungen all das liefern, was die ökonomischen, politischen und sozialen Institutionen nicht zu liefern in der Lage sind. Die lebensnotwendigste Funktion der Museen ist der Ausgleich, die Balance, die Regulierung dessen, was wir die symbolische Ökologie der Kultur nennen könnten, indem sie alternative Ansichten vorbringen und so die Auswahl und den kritischen Dialog am Leben erhalten.“ Dies sei „essentiell“ für „das Überleben einer jeden Kultur.”
Jetzt sieht alles anders aus. Der Museologe Krzysztof Pomian kommt in einem Vortrag von 2020 zu einer komplett konträren Einschätzung. Da die ökologische Zukunftsangst auch den Wert des Erinnerns in Frage stelle, sei das Museum als Projekt der „Bewahrung“ von Kultur als Reservoir für die Sinnproduktion der Gegenwart grundlegend in Frage gestellt. Oder noch dramatischer formuliert: Die Coronakrise und die ökologische Bedrohung würden das Museum obsolet machen. Und nicht nur das, Menschen würden sich angesichts der radikalen Nutzlosigkeit des Museums in Zeiten der Krise bald aggressiv gegen die Institution positionieren.
Man muss Pomians spekulativer Dystopie nicht unbedingt folgen, um Postmans berauschend utopischer Funktionsbestimmung des Museums mit wachsendem Zweifel zu begegnen. Angesichts der geringschätzigen „politisch-medialen“ Bewertung des Museums in Zeiten der Lockdowns als „nicht systemrelevant“, ist der Ernstfall möglicherweise schon eingetreten. Sind wir doch näher an der Dystopie?
Wir erleben, dass das symbolische Kapital des Museums beschädigt wird, aber auch praktisch müsste Alarmismus vielerorts um sich greifen. In zahlreichen Ländern stehen endgültige Museumsschließungen an, in den USA z.B. erwartet man, dass etwa ein Drittel der Institutionen die Pandemie nicht überstehen wird. Folgt man öffentlichen Wortmeldungen, so stößt man auf ein Schwanken zwischen „Durchstehen und danach Weitermachen“ und der Anerkennung eines dringenden Reflexions- und Änderungsbedarfs. Über welche Utopien wollen und müssen wir reden?
Gibt es eine nachhaltige Zukunft der Museen? Wie sieht sie aus, was ist zu erwarten, was zu wünschen? Genug Fragen liegen auf dem Tisch.
Gottfried Fliedl / Hanno Loewy / Anika Reichwald, im Juni 2021
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