Das was wir heute Museum nennen, steht am Ende einer jahrhundertelangen Entwicklung. Der der Schaustellung, des Sammelns, der Schatzbildung, des Wissenserwerbs, der kulturellen Statussicherung und der Formierung ästhetischer Erfahrung. Das findet – in strikt privater Verfügung - verschiedenen institutionelle Ausformungen (Antikensammlung, Wunderkammer, Galerie, Studiolo uam.). Umgeformt und mit neuen Ansprüchen ausgestattet entsteht aus diesen Praktiken gegen Ende des 18.Jahrhunderts etwas Neues, wenn auch das seit Mitte des 16.jahrhunderts wieder gebräuchliche und vermeintlich Kontinuität anzeigende Wort Museum dafür in Geltung bleibt. Ein Museum ist nun eine staatliche und öffentliche Einrichtung, in der überlieferte Dinge bewahrt, gezeigt, gedeutet und erforscht werden und die von jedermann genutzt werden soll.
Über die Brüche der politischen, ideologischen und ökonomischen Revolutionen hinweg, kommt dem Museum im Aufbruch der Moderne die Rolle zu, das Band zur Vergangenheit nicht abreißen zu lassen, narrative Kontinuität zu sichern, Vergesellschaftung über gemeinsame Werte und kollektive Erinnerung zu stabilisieren. Auf den immer rascheren Wandel der Lebenswelt reagiert das Museum mit der kompensatorischen Rettung und Aufbewahrung der Dinge, die ansonsten verschwinden würden. Alles kann ab nun zum „Letzten“ werden, das nicht verloren gehen soll. Die Denkmalpflege sichert die Erhaltung vor Ort, das Museum nimmt sich aller fluktuierende Dinge wie ein letztes Asyl an.
Museen sind Orte, an denen die drei Zeitdimensionen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft ineinander gespiegelt werden. Es selbst scheint dagegen eine eigentümliche Zeitlosigkeit zu besitzen. Film, Tanz, Theater oder Konzert sind an ein Ereignishaftigkeit gebunden, Ort und Sammlung des Museums sind hingegen mit einer wie unabschließbar wahrgenommenen Zukunft ausgestattet. Das überträgt sich auf die Dinge und unsere mit ihnen verbundenen Wertvorstellungen. Auch sie scheinen vom Ewigkeitsversprechen der Museumserzählung als Gattungsgeschichte zu zehren.
Das Museum ist ab dieser Zeit ein zivilisierendes Ritual, als Ort, an dem man sammelt aber auch sich, als Publikum versammelt. Zum Genuß der Kulturgüter gehört, sie als Medien der Selbstdeutung und -vergewisserung zu gebrauchen und das in individueller wie kollektiver Hinsicht. Dazu bedarf es des Diskurses, der Kritik, auch des Konflikts, wo es um kontroverse Stoffe geht. Die Sphäre, in der der Diskurs möglich ist, ist Öffentlichkeit. Bürgerliche Öffentlichkeit setzte die Hoffnung auf das Zusammentreffen in der von wechselseitiger Anerkennung getragenen Debatte. In ihr werden aus Bürgern Staatsbürger, insofern sie sich um das Gemeinwohl sorgen. Deshalb gehört zum neuen Museumsbegriff die Praxis der staatlichen, aus Steuern finanzierten Gründung und Erhaltung von Museen und die – freilich nie verwirklichte – Zugänglichkeit für ausnahmslos alle Staatsbürger.
Keine der mit der Museumsidee verknüpften Hoffnungen geht restlos auf. Von Anfang an schleppt die Institution Museum Widersprüche mit sich: die universale Geltung der Werte, die das Museum behauptet, erweist sich angesichts seines sozialen Elitismus als unhaltbar. Das Museum ist ein Ort der sozialen Unterscheidung, des Ausschlusses. Es wird von jenen getragen und genutzt, die bereits über Bildung verfügen und über die nötige materielle Grundversorgung, die Kultur erst ermöglicht.
Die Durchsetzung von Kanons, Normen und Sichtweisen erweisen sich als autoritäre Setzung, als Etablierung kultureller Hegemonie. Im Interesse der Eingeborenen der Bildungselite (Pierre Bourdieu) werden deren partikulare und wandelbaren Werte als universal und zeitlos behauptet.
Als hegemonial erweist sich das Museum auch in anderer Hinsicht. Es ist ein genuin europäisches Modell, das erfolgreich in alle Welt exportiert wurde. Erst in unseren Tagen und allmählich wird die universale Verbindlichkeit in Frage gestellt, zum Beispiel anlässlich der Rückgabe von unter kolonialen Bedingungen Geraubtem.
Unauflöslich ist ein anderer, fundamentaler Widerspruch: Im Museum befinden sich Dinge, die ihre Funktion und Bedeutung verloren haben. Das Museum soll auch noch den Kraftakt leisten, seine Dinge wie einen heiligen Schatz als unveränderlich, nicht aufbrauchbar, unantastbar inmitten einer auf universaler Warenzirkulation beruhenden Ökonomie zu bewahren. Nur unter dieser Bedingungen können die Sachen überhaupt zu Musealien und Exponaten werden. Die prekärte Dialektik des Musealen liegt gerade in der Rettung und Hortung des Materiellen. In aller Regel ist es nur um den Preis zu haben, daß die früheren Funktionen und Werte zugrunde gehen, die nun im und durch das Museum gleichsam wiederhergestellt werden sollen.
Das gelingt nie. Nicht zufällig reserviert für dieses Misslingen unsere Alltagssprache das Wort „museal“ als Synonym für das Überflüssige, Unbrauchbare, völlig Veraltete, aus unserer Lebenswelt Herausgefallenen.
Das Museum ist ein Erfolgsmodell. In keiner Phase seiner Entwicklung sind so viele Museen entstanden, wie in den letzten Jahrzehnten. Noch nie haben so viele Menschen Museen besucht und vermutlich hatten Museen noch nie eine derartige mediale Aufmerksamkeit. Noch nie waren Museumssammlungen derart groß und auf stetiges Wachstum ausgerichtet und derart vielfältig – was kann nicht alles museal werden? Das Museum ist eine anerkannte, im Grunde nie in Frage gestellte Einrichtung. Es gehört zur Hochkultur und repräsentiert höchste Werte. An Museen hängt der Status von Städten, Regionen und gelegentlich ganzer Nationen. Museen sind Reiseziele, gesellschaftliche Hotspots, Magneten medialer Aufmerksamkeit.
So war das bis vor Kurzem. Plötzlich ist alles anders. Die Gegenwart des Museums – unsere Gegenwart -, ist nun völlig kontaminiert von der Pandemie. Sie zwingt den Museen weltweit Schließungen in einem nie gekannten Ausmaß auf und sie zwingt zu praktischer Reaktion; Wie können Museen diese Krise überstehen und wie kann man auf sie überhaupt reagieren?
Der Pragmatismus überwiegt, es geht ums Durchtauchen, um das Weiterbestehen der Institution, um das Aufrechterhalten ihrer Aufgaben. Mehrheitlich scheint es die Strategie zu sein, nach der Pandemie so weitermachen zu können wie bisher. Es wird dann keine Krise mehr geben haben. Und das vielleicht schon bald - so die Hoffnung.
Dabei wird leicht übersehen, daß sich viele Entwicklungen der letzten Jahre bereits nur im Modus der Krise beschreiben ließen. Der NS-Kunstraub und der wesentlich umfassendere koloniale lassen die Gewaltförmigkeit und Rechtsbrüchigkeit des Museums plötzlich zur medialen Dauerdebatte werden. Die privatwirtschaftlichen Interventionen von Sammlern, Galerien und von Stiftungen oder Konzernen, lassen unschwer fragwürdige und wenig wünschbare Motive erkennen. Das ruft Proteste gegen die Zerstörung des öffentlichen Status des Museums hervor, etwa gegen den Einfluß von Pharma- und Ölkonzernen in den USA und Großbritannien.
Die Entwicklung zum Dienstleistungsbetrieb der Freizeitindustrie und des Tourismus wird als Auflösung der herkömmlichen Aufgaben des Museums wahrgenommen und als Vernachlässigung eines idealistischen Bildungsbegriffs, dessen bürgerliche Trägerschaft ohnehin schrumpft. Berufung auf ein nur noch als Quote wahrgenommenes Massenpublikums, als Ausweis für den Wert, den Museen gesellschaftlich haben, suggeriert eine längst mürbe gewordene kulturelle Bedeutung. Die sind Museen gerade selbst zu zerstören bereit, indem sie auf den Erfolgsnachweis der Quote setzen, statt auf deklarierte und argumentierte Qualitäten ihrer Arbeit.
Der neue Königsweg der Digitalisierung, durch die Pandemie enorm beschleunigt, zersetzt einige der bislang als für das Museum fest gefügte Grundlagen: den Umgang mit originalen Objekten zu dem die leibliche Präsenz des Museumsbesuchs gehört. Museen scheinen weithin desinteressiert, sich den Mechanismen des sozialen Ausschlusses zu stellen und umgekehrt wenig bereit, auf den soziodemografischen Wandel zu reagieren und auf die Forderungen vielfältigster Gruppen nach Beteiligung und Einschluss?
Die Pandemie ist ein Schock. Auch für die Museen. Die öffentliche Infragestellung ihrer Bedeutung, die praktische Behandlung als minder oder gar nicht „systemrelevant“ ist eine Art von Tod der Institution. Dieser erzwungene Stillstand antizipiert den Tod des Museums, den Krzsysztof Pomian als schon sichere und nahe Zukunft vorhersagt. Aus der fundamentalen Unsicherheit erwachsen aber auch neue Phantasien für einen überfälligen Wandel.
Schon länger wird die Gegenwart als Stillstand beschrieben. Politik scheint nur noch als an Sachzwängen orientiertes Verwalten denkbar, ohne jede Perspektive auf wählbare Zukünfte. Im Gegensatz dazu blühen in der Museumswelt mehr Zukunftsentwürfe denn je. Noch nie sind in so kurzer Zeit so viele Publikationen zur Zukunft des Museums erschienen.
Gedacht wird in alle Richtungen. Es geht um mehr Diversität, verstärkte Demokratisierung, Partizipation, ökologische Nachhaltigkeit, Repolitisierung, soziales Engagement, Wahrnehmung von Gegenwartsfragen und vieles andere mehr. Es fehlt auch nicht an der Lust am Experiment, ganz unabhängig vom Museumstyp und der Größe der Museen. Es scheinen eher kleinere Museen flexibler und aufgeschlossen für das Neue, Ungewohnte und Riskante zu sein, die neue Formen ausprobieren, ungewöhnliche Projekte erfinden.
Doch es gibt auch die zähe Praxis, die Müdigkeit der Organisationen, Grenzen der Professionalität, die zu eng geworden ist, um neuen Aufgaben gewachsen sein zu können, das Sich-Verlassen auf Routinen, die Angst vor der Grenzüberschreitung. Die Bereitschaft, sich auf den Schock der gegenwärtigen Situation mit angemessener Konsequenz und Radikalität einzulassen, ist nicht sehr groß. Er ist überfordernd.
Jenseits von Trivialitäten über die Zukunft des Museums zu sprechen, scheint mir nicht möglich. Sie ist prinzipiell unverfügbar.
Die Dystopie vom Untergang des Museums angesichts der ökologischen Krise und der Pandemie verabschiedet die Vorstellung von der Unsterblichkeit des Museums. Können wir uns eine Welt ohne Museen vorstellen? Indem dem Museum seine „Systemrelevanz“ (mit weit reichenden praktischen Konsequenzen) abgesprochen wurde, wurde dem Museum ja schon ein Urteil gesprochen.
Stephen Weil hat vor vielen Jahren schon einmal mit der Idee vom Ende des Museums gespielt. Aber er konnte damit noch spielen, die Vorstellung von einer Endlichkeit unserer Welt hatte sich noch nicht durchgesetzt und er hatte die – durchaus ironische – Idee, mit provokanten Parabeln in pädagogischer Absicht zum Nachdenken über das Museum anzuregen.
Wenn es nun viel ernster geworden ist, als sich Stephen Weil je vorstellen konnte, was kann man tun? Lähmt das nicht völlig? Oder ist das nicht gerade der Punkt, an dem radikale Fragen radikale Antworten nach sich ziehen müssten und auch Museen ganz energisch auf die akute Lage reagieren müssten?
Auffallend scheint mir, wie viele neuen Phantasmen einer grenzüberschreitenden Definition dessen, was ein Museum sein soll, auftauchen. Das metabolische Museum, das partizipative Museum, das demokratische wenn nicht gar radikaldemokratische Museum, das liquid museum, das Museum des worlding, das Museum als sozialer Ort und vieles andere mehr. Da gibt es nicht wenige neue Ideen, die aus der eisernen Umklammerung des gewachsenen Museumsbegriffs und einer reflexionslosen Routine herausführen.
Man darf fragen, warum in diesen Utopien noch am Wort „Museum“ festgehalten wird. Wenn man das, was Museum einmal war, hinter sich lassen will, um etwas Anderes und Neues entstehen zu lassen, warum bedarf es dann noch des Wortes „Museum“? Und wenn dieses Neue die dem Museum zugeschriebenen Möglichkeiten tatsächlich besser erfüllte, wenn es das leistete, das das Museum nicht (mehr) kann oder tun will? Wenn es ungeahnte neue Formen gäbe, in denen kritisches Erinnern, Einübung des Demokratischen, Sich-Orientieren, Herstellung von Zusammenhalt über eine Kultur der Debatte möglich wäre, eine republikanische Streitkultur, die ihre Fragen notwendigerweise auch im Medium des Konflikts zu bearbeiten hätte?
Wer bräuchte das Museum dann noch, wenn wir das „Museum“ haben könnten?
Geht es also darum, das Museum aufzugeben, um es zu retten?
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