Die Gedächtnisorte, das sind zunächst einmal Überreste. Die äußerste Form, in der ein eingedenkendes Bewußtsein überdauert in einer Geschichte, welche nach ihnen ruft, weil sie nicht um sie weiß. Die Entritualisierung unserer Welt ist es, die diesen Begriff auftauchen läßt. Das, was eine Gemeinschaft, die bis in ihre Grundfeste in Wandel und Erneuerung hineingerissen ist, künstlich und willentlich ausscheidet, aufrichtet, etabliert, konstruiert, dekretiert, unterhält. Eine Gesellschaft, die von Natur aus das Neue über das Alte, den Jungen über den Alten, die Zukunft über die Vergangenheit stellt.
Museen, Archive, Friedhöfe und Sammlungen, Feste, Jahrestage, Verträge, Protokolle, Denkmäler, Wallfahrtsstätten, Vereine sind Zeugenberge eines anderen Zeitalters, Ewigkeitsillusionen. Daher der nostalgische Aspekt dieser pathetischen und frostigen Ehrfuchtsunternehmen.
Sie sind Bräuche einer Gesellschaft ohne Brauchtum; flüchtige Heiligtümer in einer Gesellschaft der Entheiligung; besondere Bindungen in einer Gesellschaft, die alle Besonderheiten schleift; faktische Differenzierungen in einer Gesellschaft, die aus Prinzip nivelliert, Erkennungszeichen und Merkmale der Gruppenzugehörigkeit in einer Gesellschaft, die dazu tendiert, nur noch gleiche und identische Individuen anzuerkennen.
Die Gedächtnisorte entspringen und leben aus dem Gefühl, daß es kein spontanes Gedächtnis gibt, daß man Archive schaffen, an den Jahrestagen festhalten, Feiern organisieren, Nachrufe halten, Vorträge beim Notar beglaubigen lassen muß (...) Wäre aber das, was sie verteidigen, nicht bedroht, so brauchte man sie nicht zu konstruieren.
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