Ohne über die primitivsten Kenntnisse zu verfügen, bin ich in das ethnographische Museum [in Wien] gegangen. Ein jeder Saal des Mezzanin ist die Folterkammer eines Volkes, eines Stammes. In welcher Hölle leben fast alle! Immer wollen die Toten über sie herfallen wie die schwärmenden Haie, wie die riesigen, rote Strahlen tragende Bandfische, die sich schimmernd durch die Heringsschwärme winden; [...] Der Schrecken der Maske soll den Schrecken des Totenreichs, des Dämonensturms bannen; je mehr Schrecken der Mensch freiwillig annimmt, um so besser fühlt er sich beschützt, sei es in Neapel oder besser Neuguinea [....]; unter den wie in Regalen sorgfältig aufgestellten Schädeln der Feinde lehnen die Ahnenschilde. Sind die Ahnen versöhnt? (Die Toten sind böse. Alles ist böse, das nicht die Angst des Lebens teilt.) Aber auch die Toten haben Angst. Man muß ihnen - wie den Schächern - die Beine zerbrechen, sonst schleichen sie sich ein. Aus den kunstreichen Bildnissen der Toten steigen geschwungene Stoßzähne wie Kerzen - und vorzüglich wurden vom selben afrikanischen Stamme [...] die europäischen Eroberer in ihrer rücksichtslosen Härte porträtiert.
Schneider, Reinhold: Winter in Wien. Aus meinen Notizbüchern 1957 / 58. Freiburg 2003.
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