Semantische Ausstellungsanalyse des Themenbereichs „Migration“ im Schweizer Landesmuseum Zürich 2016
Das hier vorgestellte Beispiel einer Ausstellungsanalyse stammt aus 2016 und nimmt den damals zu sehenden Ausstellungsbereich „Migration“ in der Dauerausstellung „Geschichte Schweiz“ im Schweizer Landesmuseum Zürich in den Blick. Die Analyse basiert allein auf dem, was mir in der Ausstellung begegnet ist, ohne ein Wissen um die Schweizer Geschichte. D.h., ich kann zwar weniger die Relevanz der gewählten Aspekte in Bezug auf das historische Geschehen beurteilen, aber die Effekte, wie über Objekte, Gestaltungsebene und Betextung Aussagen getroffen werden, erkennen und interpretieren, auf welchen Setzungen und Annahmen das Präsentierte beruht.
Dabei lasse ich mich methodisch vom semantischen Ansatz von Roman Jacobson anleiten, den Sabine Offe für Ausstellungen adaptierte: der von Assoziationen bestimmten paradigmatischen Substitution und syntagmatischen Kombination. Gerahmt wird die Darlegung von kulturwissenschaftlichen und museologischen Diskursen zu Fragen von Hegemonie, Deutungsmacht und Blickregimes, Differenz und Diversität, Gesellschaftsrelevanz und Demokratie. Ich verstehe meine Analyseerkenntnisse nicht per se als Wertung, diese hängt vom Verständnis ab, was eine Ausstellung leisten soll.
Wenn ich mich dem Eingang zur Dauerausstellung „Geschichte Schweiz“ nähere, erblicke ich durch die Türöffnung erst eine eingezogene weiße Stellwand und schließlich lese ich auf einer über Kopfhöhe angebrachten grauen Tafel „Migration“. Gleich zu Beginn, noch bevor ich etwas Genaueres oder Exponate sehe, wird mit einem Begriff operiert, der in aller Munde ist. Paradigmatisch lässt sich dieser Einstieg als Ausgangspunkt, Ursprung, grundlegende Eröffnung von Geschichte assoziieren, dem Thema also Priorität zugesprochen, als erstrangig, anleitend, wichtig, zentral hervorgehoben. Migration hat inhaltlich hohe Relevanz, ist ein Kernthema. Gleichzeitig wird mit der Verwendung eines Begriffs, der in aller Munde ist, im Kopf unweigerlich eine Flut von Assoziationen zu Flucht, Asyl, Menschenrechte, Grenzen öffnen oder schließen etc. ausgelöst.Migration steht für ein allgegenwärtiges, heftig umstrittenes Politikum, geprägt von emotionalisierter, ideologischer Aufgeladenheit. Auf der gestalterischen Ebene kann ich zur Form und Position der Tafel über Kopfhöhe Informationstafel, Hinweisschild, Orientierung, Wegweiser assoziieren, zur Farbe Grau neutral, kühl, nüchtern, sachlich, bürokratisch, dezent.
Kombiniere ich diese Elemente, ergibt sich eine gewisse Ambivalenz der Interpretation. Indem der Rundgang durch die Geschichte der Schweiz mit dem Thema Migration beginnt, signalisiert das Museum nicht nur, am Puls der Zeit zu sein, sich gesellschaftsrelevanten Themen zu stellen. Es legt auch nahe, dem Thema einen vorrangigen Stellenwert einzuräumen, den Aspekt Migration auch inhaltlich als grundlegende Komponente der Geschichtserzählung zu sehen. Doch die Art und Weise, wie das Thema eingeführt wird, wirft auch Fragen auf. Was ist der Effekt, wenn mit einem emotionalisierten Begriff eingestiegen wird. Einerseits wird ein aktuell relevanter Begriff eingebracht, andererseits hochaufgeladene Projektionen im Kopf sofort aufgerufen, ohne gleichzeitiges Reflexionsangebot. (Als Exkurs sei hier angemerkt, dass 2013, also drei Jahre zuvor, der erste Themenbereich zur Geschichte den Titel „Niemand war schon immer da“ trug.)
Entgegen der Emotionalisierung durch die Titelwahl, ist die grafische Ebene von gegenteiliger Wirkung, ist um Nüchternheit bemüht. In der Kombination scheint mir aber das groß geschriebene Wort Migration dennoch schwerer zu wiegen als die gestalterische Dezenz der Tafel. Mit den aktuell heftigen Debatten im Kopf kann die nüchterne Tafel durch die Wortwahl auch zur Warnung tendieren: Achtung Migration. Für eine Wertung muss ich Position beziehen. Wenn Ausstellungen Foren der Reflexion und Verhandlung sein sollen, schließt meines Erachtens die Wahl eines omnipräsenten aufgeladenen Titels eher ab, führt nicht zu anderen Perspektiven als die im Kopf mitgebrachten.
Im nächsten Analyseschritt schaue ich auf den Raum, der sich nach dem Eingang eröffnet, und die Positionierung des Themas Migration in der Gesamtausstellung. Der Blick in den Raum ist durch eine Holzkonstruktion verstellt, ich erkenne seine Ausmaße nicht. Richte ich die Augen nach oben, sehe ich ansatzweise die historistische Architektur des Raumes, die enorme Höhe, die Verstrebungen der Decke wie in einer Kirche. Die Decke ist durch ein nicht sichtbares Lichtsystem beleuchtet, strahlt so Licht in den Raum, aber durch den Einbau ist die von der Decke kommende Helligkeit hier begrenzt. Auch den Einbau aus hellem, naturbelassenem Holz kann ich nur fragmenthaft erfassen, weiß nicht um seine Dimension und den Zweck. In diesem Raumteil ist Migration im Zeitraum 19./ 20. Jahrhundert thematisiert. Erst wenn ich um die Ecke der Einbaus gehe, wird zum einen die Architektur der großen Halle sichtbar und ich erkenne zum anderen, dass das Thema Migration nun seitlich zum Einbau für den Zeitraum 17./18. Jahrhundert weitergeführt wird. Die an eine Kirche erinnernde Architektur kann nun als Ganzes wahrgenommen werden: Pfeiler, ein Netzwerk an Verstrebungen an der vielfach gewölbten Decke, das von der Decke strahlende indirekte Licht, das den Raum luftiger wirken läßt, die hohen, allerdings im unteren Teil mit Stellwänden verdeckten Fenster.
Der Holzeinbau füllt die Halle fast vollständig aus, mittig dominiert ein riesiges, mit Schweizer Mythen bespieltes, sich drehendes Rad, von dem ein ansteigender Weg die Holzkonstruktion hinaufführt, flankiert von einer chronologischen Präsentation der politischen Geschichte. Oben am Ende des Weges ist die raumgreifende Inszenierung des Sitzungszimmers des Bundesrats, im darunter liegenden Hohlraum des Einbaus befindet sich der Themenbereich Migration.
Die anfängliche Erfahrung, den Raum und Einbau nicht erkennen zu können, ist assoziierbar mit orientierungslos, im Nirgendwo sein. Die Verortung im Gesamten lässt an Hierarchie von oben und unten, den Kontrast von repräsentativer Bühne versus versteckt im Unterbau/Keller denken. Verknüpfe ich dies nun mit den vorigen Interpretationen zur Eingangssituation, entsteht eine weitere Ambivalenz. Migration erhält hohe Aufmerksamkeit, da es den Beginn des Rundganges bildet, muss sich aber räumlich mit einem Ort begnügen, dem es im Vergleich zu den anderen Präsentationen an Repräsentativität mangelt. Sehe ich vom Repräsentativen ab, kann ich den Ort auch als Grundfeste sehen, die Basis, auf dem die Geschichte der Schweiz und der Bundesrat stehen. Aber im Gegensatz zur raumgreifenden Installation allein des Bundesrats, erhält Migration auch wenig Platz. Zudem bleibt das Thema auf den einleitenden Ausstellungsbereich beschränkt, zieht sich nicht als Konstante durch die ausgestellte Geschichte. Die Wertigkeit des Themas scheint mir daher eher ambivalent zu sein.
Der Raum zum Thema Migration ist von unterschiedlichen Raumatmosphären geprägt. Der Bereich des Einganges zu den Themen Einwanderung im 20. und Auswanderung im 19. Jahrhundert ist klein, durch die Holzkonstruktion in den Ausmaßen begrenzt. Vor dem Einbau hat der Raum zwar die Höhe der Halle, das Raumlicht kommt aber weniger zum Tragen. Hier steht eine Litfaßsäule und an der Außenwand beginnt eine Reihe von Porträts prominenter Zugewanderter. Die Präsentation der Porträts wirkt hier durch den hohen Raum luftiger als bei den Bildern, die an den Stellwänden gezeigt werden, die unter dem Holzeinbau hineinführen. Wenn ich den Stellwänden, die in einen Gang münden, folge, begebe ich mich in einen Raum im Raum, niedrig, eng und immer dunkler werdend. Die wenig beleuchtete Enge wird spürbar erfahren. Wenig Raum kann als nah und intim erlebt werden, aber in der noch zu beschreibenden Nüchternheit der Präsentation im Unterbau der Konstruktion entsteht eher ein beengendes Gefühl, Assoziationen zu Bunker und Keller können auftauchen, auch Sackgasse, da es kein Durchgang ist. Wenig Platz für Migration? Erlebe ich den Raum mit der nüchternen Gestaltung unattraktiv, überträgt sich dies auf die Wertigkeit des Themas als wenig bedeutend, im Gegensatz zur Rolle als Einstieg in die „Geschichte Schweiz“.
Gehe ich um die Ecke des Holzeinbaus, ist der Raum hier weit großzügiger, die hohe Halle und die hineingesetzte Installation werden erfahrbar. Die Assoziationen zur Halle sind nun mächtig, repräsentativ, abwechslungsreich. Während die Außenwand der Halle und die gegenüberliegende Wand der Holzkonstruktion bespielt werden, bleibt der Gang dazwischen unverstellt. An den Stellwänden vor den hohen Fenstern der Halle sind allein Fotos prominenter Zugewanderter, sie haben viel Raum. Gegenüber ist vor dem Einbau eine Wand eingezogen, in die Vitrinen eingelassen sind. Hier werden die Themen politische Flüchtlinge 19. Jahrhundert, Religionsflüchtlinge und Söldner abgehandelt, für die nun ein wesentlicher Charakter der übrigen Ausstellung zum Tragen kommt: Gezeigt werden Exponate in farbig gehaltenen Vitrinen. Während also die Themen des ersten Bereichs in einer beengten, vom Licht her düsteren Raumatmosphäre mit monoton wirkender Gestaltung, die nur von der Litfaßsäule konterkariert ist, zu erleben sind, für sich, abgeschnitten von der Gesamtpräsentation, erscheinen jene des folgenden Bereichs in die lebendigere Wirkung der Halle und seiner Ausstellungsszenografie eingebettet. Auch wenn sich die Präsentation des Migrationsthemas selbst wieder auf eine Wandbespielung beschränkt, wenn auch diesmal mit Objekten, profitiert diese von der Raumatmosphäre der umgebenden Hallenarchitektur und Szenografie. Was ist der Effekt, wenn die Gegenwart im abgeschnitten, beengten Raum repräsentiert ist? Sollte dies als Visualisieren des Umstandes intendiert sein, dass migrierenden Menschen in der Gesellschaft wenig Platz eingeräumt wird, müsste dies in den Texten und Präsentationsweisen zum Ausdruck gebracht werden. Ansonsten entsteht der Eindruck eines vom Museum getragenen Hinterhofstatus. Anwesenheit allein heißt nicht adäquate Präsentation.
Ich wende mich nun der Präsentation selbst zu und beginne mit dem Einleitungstext. Er beginnt mit einer Begründung, d.h. mit dem Impetus eines verständlichen, nachvollziehbaren Arguments. Das Wort „Armut“ macht den Auftakt, wird inhaltlich für den ersten Absatz prioritär. Zu diesem zentralen Bezugspunkt gesellt sich die Formulierung „Grund, die Heimat zu verlassen“, die mit der Wahl des Wortes „Heimat“ aufgeladener ist, als ein Land zu verlassen. Ortlos, nicht mehr zu Hause zu sein, wird mit bedauernswertem Verlust assoziiert, für den es einen Anlass braucht. An diesen Einstieg schließt der Satz zur Auswanderung von Schweizer*innen an. Durch die nahe Aneinanderreihung scheint mir das im ersten Satz erzeugte Mitgefühl auf sie überzuschwappen. Der Wechsel vom Auswanderungs- zum Einwanderungsland wird nüchtern neutral berichtet. Daraufhin kommt das Verb „suchen“ ins Spiel: Menschen „suchen“ in der Schweiz Arbeit und sie „suchen“ „Schutz“. Dem letzten Aspekt ist nun der zweite Absatz gewidmet. Durch die Jahrhunderte werden Beispiele von Menschengruppen aufgezählt, die deshalb „einwanderten“, allerdings ohne die Kontexte auszuführen und ohne Flüchtlinge der unmittelbaren Gegenwart zu erwähnen. Eine reine Aufzählung der betroffenen Gruppen macht alle gleich, unterschiedslos.
Schaue ich nun auf den Gesamttext, das Zusammenspiel der Aussagen, scheint mir nur die Wortwahl „Heimat verlassen“ auf Anteilnahme zu setzen, formal verknüpft mit dem Schicksal auswandernder Schweizer*innen. Der Rest ist eher neutral besetzte Berichterstattung, die jedoch durch den aufzählenden Charakter eine durchgehende Aufnahmebereitschaft der Schweiz suggeriert. Arbeitssuchende „kommen“, Schutzsuchende „wandern ein“. Niemand wurde abgewiesen, protestantische Glaubensflüchtlinge in gleicher Weise aufgenommen wie NS-Verfolgte. Die kontext- und unterschiedslos dargelegte Einwanderung von Arbeitssuchenden und Schutzbedürftigen entzieht sich einer Befragung realer Verhältnisse, etwa dem Dichtmachen der Grenzen 1938 oder in der Gegenwart. Insgesamt zielt der Text darauf ab, neutral und unverfänglich vage zu bleiben, Problematisches zu vermeiden, insbesondere auch aktuelle Diskurse und Politiken um Flucht und Asyl.
Formal ist der Text – so wie alle Thementexte – kurz gehalten, unterteilt in zwei Absätze. Es braucht nur wenig Zeit, um ihn zu lesen. Die Sätze sind kurz, der Sprachstil, die Wortwahl und Satzstruktur sind einfach gehalten: Es gibt keine Fremd- oder Fachwörtern, kaum Nebensätze. Gute Lesbarkeit, hohe Verständlichkeit, wenig Anstrengung und geringer Zeitauswand sind die Prämissen. Damit verbinde ich breite Publikumsorientierung.
Dem Einleitungstext steht inhaltlichdiametral die Litfaßsäule gegenüber. Sie ist zentral im Raum aufgestellt undkommt durch ihre Positionierung, die rote Farbe und auffallenden Plakatsujetsimmer wieder in den Blick. Sie istunübersehbar, aufmerksamkeitsheischend. Litfaßsäulen dienen der Bekanntmachung,Werbung, Propaganda. Diese Funktion der öffentlichen Adressierung findet hierdurch die leuchtendrote Farbe eine besondere Hervorhebung, assoziierbar alsSignalfarbe, Warnfarbe, als emotional aufrührende Farbe. Aufkaschiert sind nurwenige Plakate, alles Plakate zur Abstimmung über Initiativen zur„Überfremdung“ 1970 und 1974. Gewählt wurde jeweils ein Plakat, das dafür oderdagegen ist. Ja oder Nein springen groß geschrieben ins Auge. Damit werdenbipolare Positionen, ein Entweder-oder-Gegensatz aufgezeigt, eine Kampfarenaeröffnet, die nur Gegenpole zulässt, keinen Argumentations- undVerhandlungsraum. Ich kann mich – insbesondere als Schweizer*in – angesprochenfühlen, mitzustimmen – aber die Ausstellung beschränkt dies auf einen vorgegebenenJa-Nein-Modus, dem heutigen Daumen rauf oder runter, ohne Option der Reflexionund argumentativen Auseinandersetzung.
Dazu kommt, dass der Begriff „Überfremdung“ unhinterfragt bleibt. Das Fremde als Bedrohliches, das zu begrenzen ist, im Zu-viel-sein überformt und auslöscht, steht als alleiniger Bezugspunkt im Raum. Auch die Plakate, die die Initiative ablehnen, verhalten sich zu diesem Begriff. Durch die Exponatwahl wird nahe gelegt, dass die Auseinandersetzung um Migration historisch mit dem Begriff „Überfremdung“ als alleinigem Bezugspunkt geführt wurde. Auch wenn dem so war, stellt sich mir die Frage, warum die Ausstellung nicht thematisiert, dass dies ein Setting war, das als Framing bezeichnet werden kann. Mit Ja und Nein erfolgt eine Polarisierung und mit dem Bezugspunkt „Überfremdung“ wird ein Denkrahmen gesetzt. Was ist nun der Effekt, wenn eine Ausstellung dies kommentarlos und visuell betont ausstellt? Die Wahl der Signalfarbe Rot korrespondiert mit der Alleinstellung der Plakate der „Überfremdungsinitiative“, zusammen befördern sie einen eher emotionalisierenden Zugang, setzen das Framing fort. Es kann argumentiert werden, dass es die Intention der Ausstellungsmacher*innen war, mit dieser Zuspitzung eine historische Realität aufzuzeigen, die das Publikum als solche rezipieren kann oder soll. Demgegenüber vertrete ich die Auffassung, dass Ausstellungen Angebote zur kritischen Reflexion geben sollen, dass sie historisches Geschehen nicht allein zeigen, sondern in einen denk- und diskussionsfördernden Raum einbetten. Und diesen sehe ich hier nicht. Verknüpfe ich nun die Aussagen des Einleitungstextes und die der Litfaßsäule, werden zwei Welten ersichtlich, die keinerlei Bezug haben. Das im Text gezeichnete zuwanderfreundliche Image der Schweiz steht im Kontrast zum Bedrohungsszenario. In der Regel hat Visuelles eine stärkere Wirkmächtigkeit als Texte.
Die Litfaßsäule hat durch die Auffälligkeit der Farbe und Bildsujets die Funktion eines Attraktors, sie hebt sich von der übrigen Gestaltung des ersten Raumteiles ab. Rechterhand des Eingangs beginnt eine weiß-glänzende durchgehende Stellwand mit dem schon ausgeführten Einleitungstext. Sie führt unter den Holzeinbau und bildet einen schmaler und dunkler werdenden Gang, über dem das schon erwähnte graue Schild mit der Aufschrift „Migration“ angebracht ist. Zu sehen ist auf beiden Seiten des Ganges eine Reihe von gleich großen, hinterleuchteten Schwarz-Weiß-Bildern von Personen(gruppen). Die Hinterleuchtung wirkt aufgrund des dunkleren Raumes stärker. Thematisiert wird vom Eingang aus gesehen erst die Einwanderung im 20. Jahrhundert, dem folgt auf der gegenüberliegen Gangseite die Auswanderung im 19. Jahrhundert. Beide sind in gleicher Weise präsentiert: je ein Thementext, sechs hinterleuchtete Bilder und für beide ein Touchscreen mit detaillierten Informationen zu den Bildern. Allerdings ist beim Thema Auswanderung zusätzlich ein Inserat und Karteikasten in einer eingelassenen Vitrine präsentiert, die aber nur sichtbar sind, wenn ich mich im hinteren Gang aufhalte. Linkerhand des Eingangs, also gegenüber dem Holzeinbau ist die weiße Außenwand der Halle belassen und mit einer Doppelreihe von kleinen Porträts bespielt. Zu sehen sind prominente Personen, die in die Schweiz eingewandert sind. das Material Holz der in die Halle gesetzten Konstruktion nur über Kopfhöhe sichtbar ist, bestimmen die hellen Stellwände und die Außenwand den Raumeindruck, den ich überwiegend mit dezent, nüchtern, steril, neutral assoziiere. Davon hebt sich wie gesagt die Litfaßsäule ab, die wie ein Wächter vor dem Gang steht. Die Lichtführung beschränkt sich auf Spots von oben, die auf die Wände und Litfaßsäule gerichtet sind, aber nicht den hinteren Gang erreichen. Das Hinterleuchten der Bilder kann als Hervorheben der Fotografie und damit auch als Belebung des nüchtern-dunklen Raumes gesehen werden. Oder als Anpassung an Bildschirmmedien und damit an heutige Wahrnehmungsgewohnheiten wahrgenommen werden. Ursprünglich analoge Fotografien erfahren einen Wandel, sie sind nicht mehr nur Abzüge sondern scheinen durch Licht medial gemacht. Es wird nicht auf einen individuellen, dem Original entsprechenden Effekt gesetzt, es soll weniger der Charakter einer Fotografie als Exponat erfahren werden, sondern eine übergeordnete ästhetische Dimension. Offen bleibt, inwiefern das Foto durch Anpassung verändert, etwa beschnitten wurde. Damit stellt sich die Frage des Einsatzes von Fotografien zwischen Original bzw. Quelle und Illustration. Durch das immer gleiche Format der Bilder in einer Reihe wirken sie geordnet, seriell, genormt, auch monoton. Die formale Gleichheit aller Bilder kann auch zeigen wollen, dass alle die gleiche Wichtigkeit haben. Ähnliches gilt wohl insgesamt für die beschriebene Präsentation der Themen Einwanderung und Auswanderung mit je sechs Bildern und Text: Beide Aspekte sollen gleichgestellt sein, erhalten gleichen Raum, repräsentiert durch gleiche Exponate und Ausstellungsweise.
Nach Anordnung und Gestaltung widme ich mich nun den Thementexten. Im Text „Zuwanderung im 20. Jahrhundert“ fällt auf, dass entgegen der Überschrift der alleinige Fokus auf der zweiten Hälfte und auf Arbeitsmigration liegt. Ausgangspunkt ist der „Konjunkturaufschwung“, assoziierbar mit hoher Wirtschaftsleistung, Arbeitskräftebedarf, Wohlstand. Die folgende Zuwanderung wird quantitativ benannt, erst „eine Million Italiener“, dann „Hundertausende“ aus anderen Ländern, schließlich kulminierend im Begriff „Masseneinwanderung“, die dann „Ängste auslöst“. Massen sind vielfach negativ besetzt, die Angst-Reaktion darauf gerinnt zu einer verständlichen Emotion. Ängste sind bedauernswert. Mit der Wortwahl wird Mitgefühl evoziert, den Angsthabenden muss geholfen werden. Dies macht der Text nun: „Stimmen fordern eine Begrenzung“, die in einer Volksinitiative „gutgeheissen“ wird. Der undefinierte vage Begriff „Stimmen“ wird zur Stimme des Volkes, zum demokratischen Entscheid, der mit dem Wort „gutgeheissen“ noch zusätzlich nobilitiert wird. Keine Erwähnung finden Ängste der Zuwandernden oder Stimmen, die Offenheit fordern. Durch die Konzentration auf den Migrationsgrund Arbeit bleibt der Aspekt Schutz gänzlich außen vor. Krieg und Gewalt, Verfolgung, Flucht und Asyl werden nicht thematisiert, weder früher, etwa der NS-Zeit, noch heute. Warum? Weil es schwieriger ist zu argumentieren, Menschen auf der Flucht nicht aufnehmen zu wollen als jene, die Arbeit suchen? Weil...
Der Text „Auswanderung im 19. Jahrhundert“ ändert die Perspektive: Das Mitgefühl gilt nun allein den Einwandernden, nicht mehr der Bevölkerung des Einwanderungslandes. „Armut zwingt“ Schweizer*innen zur Emigration, sie „verlassen“ „ihr Land“. Aufgerufen wird im ersten Absatz ein gewaltförmiges, zwangsläufiges, alternativloses Schicksal. Im zweiten Absatz wird nun Hilfe thematisiert, der „Weg in die neue Heimat“ wird betreut. Für das Einwanderungsland wird der Begriff „neue Heimat“ gewählt. Den schweizerischen Migrant*innen wird ein Anspruch auf Heimat in einem fremden Land selbstverständlich zugesprochen, anders beim vorigen Text, wo selbst ein Verbleib umstritten ist. Die Reaktion der Bevölkerung des Einwanderungslandes auf Migration, die Rolle als Kolonisator*innen, die Enteignung indigener Natives, ihr Genozid finden keine Erwähnung. Die Texte sind höchst einseitig: Schweizer*innen sind Auswanderer*innen, aber nie Ausländer*innen. In die Schweiz Einwandernde sind Ausländer*innen, deren Migration nichts Zwangläufiges innewohnt. Sie sind nicht auf dem Weg in eine neue zweite Heimat.
Ich richte nun den Blick auf die gewählten Bildsujets. Wie im Text erfolgt für das 20. Jahrhundert eine Konzentration auf die zweite Hälfte. Die Beschriftung weist die zu sehenden Personen nicht namentlich aus, sondern ihre Herkunftsnationen und Status/Beruf, zB „Italienische Saisonniers“. Fünf Fotos sind der Arbeitsmigration gewidmet. Anders als im zugehörigen Thementext wird auf Bildebene zwischen diesem dominierenden Aspekt auch Asyl sichtbar, aber kontextlos. Das Foto zeigt zwei „türkische Asylwerber“ im Jahr 1988, die an einem Wandtelefon stehen. Zur Arbeitsmigration sind zwei Fotos italienischer Arbeiter*innen aus den 1950er Jahren und eines mit jugoslawischen Arbeiter*innen von 1979 ausgewählt worden; sie alle befinden sich an Bahnhöfen. Weiters ist eine Protestkundgebung „türkischer Arbeiterinnen“ 1988 zu sehen. Auch wenn die Bildunterschriften die Abgebildeten als Arbeiter*innen ausweisen, vermeiden die gewählten Sujets, sie als arbeitend zu zeigen. Sie werden nicht bei dem gezeigt, was sie leisten, im Alltag, sie sind ab/anreisend an einem Durchgangsort, nicht dauerhaft bleibend oder als Protestierende irgendwo im Freien, ohne Benennung des Grundes und Ortes des Arbeitskampfs. Sie scheinen ortlos in Bewegung. Auch die telefonierenden Männer sind in einem wenig erkennbaren Raum abgebildet, mit der Ferne verbunden, im Dazwischen. Verknüpfe ich die abgebildeten anonymen, nichtverorteten Menschen mit den im Thementext erwähnten Massen, verändert sich der Blick auf sie. Arbeit wird in der Regel positiv rezipiert. Doch indem Arbeit abwesend ist, kommt das Auf-dem-Weg-Sein in den Blick. Die als negativ belegte Massenbewegung kann Raum gewinnen. Ein Foto weicht ab, es zeigt eine vor einer Tunnelbohrmaschine posierende Menschengruppe beim Bau des Gotthard-Basistunnels. Die Bildunterschrift besagt, dass „Mineure und hochqualifizierte Ingenieure aus verschiedenen Nationen beteiligt“ sind und der Eisenbahntunnel mit 57 km der längste der Welt sei. Stolz auf Arbeit, Leistung, ein vollbrachtes Werk werden hier sichtbar.
Letzteres dominiert die gewählten Sujets zur Auswanderung aus der Schweiz im 19. Jahrhundert. Zwei Fotos zeigen als „Siedler“ bezeichnete Menschen in den USA. Sie „bestellen das kärgliche Feld“: Zu sehen sind ein arbeitender Mann, ein Kind und das Haus, Hühner, etc. Vermittelt wird mit Landbesitz ein Sich-Niederlassen, ein Zu-Hause, mit der Arbeit ein Tätigsein, Sicherhalten, ein Alltag. Und mit dem Wort „kärglich“ wird Mitgefühl erzeugt für ein hartes Leben. Das Foto mit dem Titel „Junger Schweizer Siedler vor improvisierter Küche“ bildet einen Mann ab, der auf einem Herd sitzt, neben ihm ein Zelt, Gewehr, Hausstand und Nahrungsmittel. Er behauptet sich, hat Kampf-/Pioniergeist, ist im Recht, findig. „Unbekannte Schweizer Familie vor ihrem Haus in Kalifornien“ steht unter einem Foto, auf dem ein Paar in Arbeitskleidung mit Kind zu sehen ist, die Frau füttert Hühner. Wieder wird Haus- und Landbesitz demonstriert. Dasselbe gilt für eines der zwei Fotos, die nach Russland Ausgewanderte zeigen: „Die Familie Mathey aus der Westschweiz auf der Veranda ihrer Datscha-Pension“ posiert in guter Kleidung. „Ein Schweizer und ein Russe vor einer Käserei“ verweist auf zwei bei einem Getränk an einem Tisch sitzende Männer. Unterbrochen werden die drei Fotos zu Auswanderung in die USA und zwei Fotos zur Auswanderung nach Russland durch eine Zeichnung vom Inneren eines Auswanderungsschiffes, einem beengten Raum mit Stockbetten und vielen Leuten, die sich unterhalten, musizieren, handarbeiten, kochen. Sie sind zwar am Weg, aber dabei häuslich, gesellig, gemeinschaftlich, tätig. Zusammenfassend erscheinen die Menschen auf den Fotos in ihrem individuellen Alltag, bei der Arbeit, sie sind angekommen, beheimatet, haben sich niedergelassen und zeigen ihren Besitz. Auch wenn die Beschriftung ihre Schweizer Herkunft betont, sind sie selbstverständliche Bewohner*innen der USA oder Russlands, die Assoziation Ausländer*innen entsteht nicht, wie dies bei den Einwanderung in die Schweiz der Fall ist.
Zu den beiden Fotoreihen können auf einem Touchscreen vertiefende Informationen abgerufen werden. Zu jedem Foto gibt es einen längeren Text, den ich im Stehen lesen muss. Zeitaufwand unter unbequemen Bedingungen vermindert die Wahrscheinlichkeit der Rezeption. Jedoch finde ich nur hier Informationen, die die realen Rahmenbedingungen von Migration anreißen, teilweise kritische Reflexion ermöglichen. Beispielsweise werden zu den Fotos von Arbeiter*innen an Bahnhöfen die Interessen von Wirtschaft und Politik an beliebig verschiebbaren, austauschbaren Arbeitskräften und die daraus resultierenden strikten Regulierungen, denen Arbeiter*innen unterworfen sind, deutlich: Auf Zeit begrenzte Arbeitsbewilligung für eine fix definierte Stelle, aber anfangs keine, später begrenzte Zuwanderung. Als ein Familiennachzug nach 18 Monaten und eine Niederlassungsbewilligung nach 5 Jahren erlaubt werden, wird dies als eine Folge des Zugzwangs der Wirtschaft dargelegt, Arbeitskräfte zu bekommen. Angesprochen wird auch, dass die in Aussicht gestellte Option auf Familiennachzug mit der Angst vor Arbeitsverlust einhergingen: Ohne Arbeit kann die Familie nicht kommen, Arbeiter:innen geraten eher in Abhängigkeit von einem Arbeitsplatz. Erkennbar wird erzwungene Flexibilität und Unsicherheit auf Seite der Arbeiter*innen und gewollte Flexibilität und Freiheit auf Seiten der Wirtschaft: Als eine Wirtschaftskrise einsetzte, waren Arbeiter*innen ohne Vertrag gezwungen, das Land zu verlassen, mit dem Aufschwung kamen neue. Dies wird überwiegend in sachlich-nüchternen Sätzen beschrieben, meist ohne direkte hinterfragende Formulierungen. Dem Publikum bleibt so überlassen, sich je nach Einstellung dazu zu verhalten, dies kritisch als Verobjektivierung von Menschen zu sehen, den Status als Verschubmasse zu hinterfragen oder als wirtschaftsgerecht zu verteidigen. Empathie wird nur an wenigen Stellen deutlich, bei der Erwähnung eines Dokumentarfilms, der Arbeitskräfte „in ständiger Angst um ihre Stellen in bescheidenen Unterkünften“ zeigt und durch das Max-Frisch-Zitat: „Wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen.“
Mit den Informationen der Vertiefungsstation könnte die Wahl der Bildsujets von Arbeiter*innen an Bahnhöfen auch als treffend gesehen werden: Sie vermitteln die politischen und wirtschaftlichen Interessen, dass Arbeitsmigrant*innen in Bewegung bleiben, nicht ankommen sollen. Jedoch sind die Bilder von der Vertiefungsebene getrennt, wodurch fraglich ist, dass ein Reflexionsraum entstehen kann. Allein das Zeigen eines realen, aber hinterfragbaren Status eröffnet ein kritisches Nachdenken wohl nur für jene, die entsprechendes Wissen mitbringen, oder das Vertiefungsangebot wahrnehmen. Da diese Informationen wohl von wenigen Interessierten rezipiert werden, sehe ich Thementexte und Fotos samt Bildunterschriften als zentrale Präsentationsebene.
Ich überspringe Informationen zu einigen Bildern und gehe noch exemplarisch auf zwei Fotos von Auswanderungen in die USA ein. War in der Bildunterschrift „Siedler bestellen das kärgliche Feld“ zu lesen, erscheint in der Vertiefung die abgebildete Arbeit nicht beschwerlich und damit Mitgefühl evozierend. Sachlich wird vermutet, dass der Siedler trockene Erde lockert oder Unkraut bekämpft. Zudem wird informiert, wie problemlos der Getreideanbau war: kein Wald zu roden, leicht zu beackern, hohe Nachfrage nach Getreide. Wird das Betrachten des Fotos mit Anteilnahme gerahmt, ist die vertiefende Ebene um einen sachlichen Ton bemüht. Zu erfahren ist weiters, dass Menschen ländlicher Regionen der Schweiz mit der „Aussicht auf günstiges Land“ aufbrachen, und dass Mittellose mit Reisegeld „abgeschoben“ wurden. Abschiebung wird heutzutage mit Einwanderung assoziiert, früher lebende Schweizer*innen, die sich nicht erhalten konnten, scheinen quasi mit heutigen Nicht-Geduldeten gleichgesetzt, mit einem Unterschied, für die in die USA Immigrierten gab es eine Perspektive durch das „Recht auf Landerwerb“. Land kann abgesteckt und nach 5 Jahren Bewirtschaftung besessen werden. Es erscheint selbstverständlich, dass Land als verfügbar, frei, ohne vorgängige Rechtsansprüche angeeignet werden konnte, nicht nur als vergangene Praxis, sondern auch im Text. Denn es gibt keinerlei Kritik, Landraub und Vertreibung der indigenen Bevölkerung existieren im Text nicht. Dasselbe gilt auch für die anderen Fotos. Zu der vor einem „solide wirkenden Holzhaus“ posierenden Familie heißt es, sie sei schon länger „angekommen“ und das Klima ermögliche ihnen gute Ernten und Einkünfte. Unhinterfragt wird formuliert, dass die USA über große „Landreserven“ verfügen. Daher „lockt der Traum von der eigenen Farm“, wird hier eine „bessere Zukunft“ gesucht. Demgegenüber wird die Situation in der damaligen Schweiz als „prekär“ dargelegt: zu kleine Anbauflächen, Arbeitsverlust durch Mechanisierung. Migration wird nicht nur zum nachvollziehbaren sondern vernünftigerweise unbedingt einzuschlagenden Ausweg, wenn ein als eigentumslos erklärtes Land auf „Siedler“ wartet. Freies Land wird bestellt, produktiv gemacht. Eine positiv konnotierte Tätigkeit. Der Begriff „Siedler“ verharmlost die kolonisierende Agenda.
Das Ende des Ganges mit den hinterleuchteten Bildern ist dunkel gehalten. Hier befinden sich zwei Medienstationen, an denen ich mich niederlassen kann. Sie haben rote Sockeln und Sitzgelegenheiten, doch fällt die Farbe durch die Dunkelheit wenig auf, zudem werden sie auch nur aus wenigen Positionen im Raum sichtbar. Eine Medienstation hat den Titel „Niemand war schon immer da“, hier kann ich mit detaillierten Informationen versehene Projektionen von der Urgeschichte bis zum frühen Mittelalter abfragen. Unklar ist, warum diese Medienstation mit dem 12. Jahrhundert endet. Sie wurde aus der früheren Ausstellung „Niemand war schon immer da“ übernommen, die von der Urgeschichte bis zur Gegenwart führte. Die visuell abwechslungsreich aufbereiteten Projektionen bieten mehr Informationen als die jetzige Ausstellung „Migration“, die den Zeitraum 16.-20. Jahrhundert umfasst. Die vielen Projektionen zu schauen, erfolgt sitzend, braucht aber auch viel Zeit, ist für stärker Interessierte gedacht. Es entsteht der Eindruck des Ungleichgewichtigen. Detailliert, visuell ansprechend, rein medial, aber zeitaufwändig und unauffällig im unattraktiven Gangende verortet versus schnell zu erfassende analoge Präsentation, mit minimalen allgemeinen Hintergrundinformationen.
Die zweite Medienstation ist ein Mitmachtool zur Einbürgerung. Auf einer Landkarte sind sechs Ortswappen und das Schweizer Wappen zu sehen. Klicke ich das Schweizer Kreuz an, erhalte ich eine Einführung, klicke ich die Ortswappen an, werden mir kurze Informationen zum Ort gegeben und ich kann deren Einbürgerungstest machen. Die einführenden Informationen zur Einbürgerung sind: Gemeinden haben unterschiedliche Verfahren, die politisch umstritten sind, zwischen Vereinfachung und Verschärfung. Als Voraussetzungen werden genannt: Aufenthalt von 12 Jahren, eine Landessprache beherrschen, einwandfreier Leumund, keine Vorstrafen und Schulden, gute Integration. Die Gemeinden machen sich mittels Kenntnisse zu Staat, Kanton und Gemeinde ein Bild über die Integration der Einbürgerungswilligen. Wähle ich einen Ort und mache den Test, wird mir das Ergebnis angezeigt und wenn ich zu wenig Punkte habe, wird mir empfohlen, öfter ins Landesmuseum zu kommen, „dann klappt es beim nächsten Mal“.
Da es bei den Informationen zu den Orten nur um die erwähnten Kenntnisse geht, kann gefolgert werden, einen Einbürgerungstest zu bestehen, heißt auch, aufgenommen zu werden. Es sei eine Wissensfrage, die zu beheben sei, die Voraussetzungen geraten in der Hintergrund. Es wird davon ausgegangen, dass die Einführung gelesen wird, die aber abzurufen und nicht direkt beim Test integriert ist. Selbt wenn die Einführung gelesen wird, wird die Bedeutung der aufgezählten Voraussetzungen nicht selbstverständlich klar. Wie leicht oder schwer sind die Voraussetzungen zu erfüllen, wie hoch sind die Hürden? Wie gelingt es etwa, 12 Jahre in der Schweiz wohnen und arbeiten zu können? Was bedeutet Integration? Ich assoziiere zum Mitmachtool insgesamt Beruhigung, Konfliktvermeidung, problemlose Migration. Und der Hinweis, im Landesmuseum sein Wissen zu erhöhen, soll wohl Witz haben, ich empfinde ihn aber unangemessen hinsichtlich der Hürden für Migration.
Ich verlasse den Gang und betrachte die Porträtschiene, die an den Außenwänden der Halle präsentiert ist. Der Thementext mit dem Titel „Zugewanderte“ leitet mit dem Satz ein, dass alle Abgebildeten selbst oder ihre Eltern keine Schweizer*innen waren. Sie seien mit einer „eigenen Geschichte“, „eigenem Gepäck“, „eigener Sprache und eigenen Fertigkeiten“ gekommen. Die Betonung liegt auf eigen und nicht anders, ist so positiv konnotierbar, Vielfalt und Individualität wird gewürdigt. Mit den Formulierungen, „Verwandte“ bzw. die „fremder und fremder“ werdende „alte Heimat“ werden zurückgelassen, wird geläufige, vielfach geteilte emotionale Verbundenheit ins Spiel gebracht, Mitgefühl evoziert. Der Schlusssatz ist eine Erfolgsstory des Schweizer*innen-Werdens: „Respekt und Ansehen bei ihren neuen Nachbarn“ ist eine Würdigung gelungener Integration. Sie werden gleich, sind ununterscheidbar, denn „allmählich geht vergessen, dass die eigenen Vorfahren nicht schon immer hier waren.“ Der Text zeichnet das Idealbild eines offenen Einwanderungslandes, einer win-win-Situation: Menschen werden aufgenommen, leisten etwas, das der Reputation der Schweiz dienlich ist.
Was der Text nicht anspricht, nur indirekt mit „Ansehen“ vage andeutet, ist, dass es sich bei den Zugewanderten hier allein um Prominente handelt. Präsentiert werden chronologisch gereiht Porträts von 27 Persönlichkeiten aus Sport, Wirtschaft, Technik, Kunst, Theater, Literatur, Wissenschaft, Religion und Politik vom 16.-20. Jahrhundert, zB Erasmus von Rotterdam, Jean Calvin, Voltaire, Henri Nestlè, Meret Oppenheim, Hermann Hesse, Albert Einstein, Roger Federer. Jedes Porträt hat eine Bildunterschrift, die die Herkunft und die Leistungen/Tätigkeiten beschreibt, die das Ansehen begründen.
Die Differenz zur Präsentation der eingewanderten oder einwanderungswilligen „Massen“, zu den Arbeitsmigrant*innen ist eklatant. Statt das mitgebrachte Eigene zu schätzen, Respekt und Ansehen zu zollen wird im Text dort der Konjunkturaufschwung angeführt, der arbeitssuchende Menschen ins Land zieht. Sie sind es, die allein zu profitieren scheinen, nicht die Schweizer Wirtschaft, die (billige) Arbeitskräfte braucht. Ihre Arbeit erfährt nicht die geringste Würdigung. Sie bringen nicht „eigene Fertigkeiten“ mit, verrichten folgerichtig einfache Arbeit mit geringer gesellschaftlicher Anerkennung, sind austauschbar. Demgegenüber genießen die Willkommenen hohe Reputation aufgrund der von Fertigkeiten geprägten Leistungen, es gibt keine Befürchtung von „Überfremdung“, es werden keine Ängste ausgelöst, Begrenzung gefordert.
Die Fotos zeigen wie schon beschrieben anonyme Menschengruppen. Anders die Porträts. Sie zeigen Individuen, sind formal nicht gleichermaßen genormt wie die hinterleuchteten Bilder, es gibt Hoch- und Querformate, die zwar nicht alle gleiche Maße haben, aber jeweils gleich hoch sind. Dadurch und durch die Reihung wirken sie zwar auch etwas seriell, aber in anderer Weise. Das Bildmotiv individueller Porträts führt zum Eindruck einer Bildergalerie, durch die chronologische Reihung auch zu einer Ahnenreihe. Nationalisiert werden auch Personen, die vorübergehend in der Schweiz lebten wie Albert Einstein.
Zum Abschluss betrachte ich die Präsentation von drei Migrationsgruppen des 16.-19. Jahrhunderts. Sie werden nacheinander an der grauen Wand abgehandelt, die entlang des Holzeinbaus aufgestellt ist.
Im Thementext „Einwanderung der politischen Flüchtlinge“ bildet das Scheitern der 1848-Revolutionen in den „umliegenden Ländern“ den Ausgangspunkt. Monarchistische Regierungen üben auf das „liberale Asylland“ Schweiz, in das die Republikaner „fliehen“, Druck aus. Assoziiert werden kann: Revolutionen wurden überall versucht, nicht in der Schweiz, hier besteht kein Veränderungsdarf. Mehr noch, die Schweiz erscheint als republikanisches Bollwerk gegen Monarchien, als ein Schutzschild für Personen mit republikanischen Anliegen. Sie muss deswegen Anfeindungen aushalten. Doch für jene, die mit der Geschichte nicht vertraut sind, kann offen bleiben, was Republikaner ausmacht, was die 1948-Revolutionäre konkret vertreten. Soll ich dazu assoziieren, dass der Inhalt von politischen Anliegen und Kämpfen hier irrelevant ist, dass es um eine Ereignisgeschichte der Schweiz als Aufnahmeland geht, nicht um Flüchtlinge bzw. was sie zu Flüchtlingen machte? Im zweiten Absatz werden die Grenzen der liberalen Haltung angesprochen: des Anarchismus Verdächtige werden überwacht. Evoziert wird Gefahr für die vorhandene gesellschaftliche und politische Ordnung, vorausschauende Vorsicht oder Misstrauen, die Maßnahmen rechtfertigen.
Zum Thema politische Flüchtlinge werden nun in drei in die Wand eingelassenen Vitrinen Objekte gezeigt. Die Vitrinen sind in einem kräftigen Rot gehalten, damit hervorstechend, auffällig. Als mit Macht und Herrschaft verknüpfte Farbe bildet sie einen repräsentativen Hintergrund für die Objekte, wertet diese auf.
Eine Vitrine ist Richard Wagner gewidmet. Zum Steckbrief gegen Wagner wird informiert, dass er als politischer Flüchtling kam und mit wem er verkehrte. Die Objektbeschriftung zu einem Porträt Wagners wird mit den Worten „Sympathie mit dem Flüchtling“ eingeleitet, er sei „auf der Höhe seines Ruhms“ zu sehen. Sympathie wird erstmals verwendet, mit Stolz, dass sie einem Flüchtling gilt. Durch den unmittelbar anschließenden Satz wird Sympathie indirekt mit Ruhm verknüpft. Ansehen fördert eben Zuneigung. Zu einem Notenblatt titelt die Beschriftung „die Alpen als Inspirationsort“. Die neun Jahre in Zürich würden als die produktivsten gelten, Wagner wird inspiriert, erreicht seinen musikalischen Höhepunkt D.h. die Schweiz wird zu einem Glücksfall für Wagner stilisiert, sie hat Anteil an seiner Leistung.
Auch die zweite Vitrine fokussiert auf eine Person, nun Gottfried Semper. Eine weiße Büste, die sich vom Hintergrundrot stark abhebt, zeigt ihn. Der Objekttext zu seiner Büste informiert zur Person, Wagner ist dagegen durch die Präsentation einer Lithographie dezenter präsent. Doch von beiden soll ich mir wohl ein Bild machen können. Als weitere Objekte kommen wieder Dokumente zum Einsatz. Zum Steckbrief erzählt der Text, Semper sei „überzeugter Republikaner“, der „an vorderster Front“ kämpfte. Zum Reisepass wird seine Berufung an die ETH erwähnt. Die Assoziationen reichen von heldenmütig, Idealen verpflichtet, den Kampf aufnehmend, nicht scheuend und daher ruhmeswürdig bis etabliert, in seinem Wirken anerkannt, im elitären Universum einer Universität verankert – vom Revolutionär zum Professor.
Die dritte Vitrine wird von einer einzelnen, großen Freiheitsbüste Helvétia-Liberté ausgefüllt. Laut Text schenkte der in die Schweiz geflüchtete Gustave Courbet sie aus Dankbarkeit einer Schweizer Gemeinde. Hier kommt mit einem bekannten Künstler zwar wieder eine mit Ruhm und Ansehen verknüpfte Persönlichkeit ins Spiel, doch diesmal allein durch sein Werk. Die strahlendweiße Büste vor dem Rot springt ins Auge. Sie zeigt nun keine konkrete Person, sondern eine weibliche Allegorie. Das Gesicht seitlich erhoben, die Augen nach oben gewendet scheint sie die lichtvolle Zukunft zu schauen, voller Erwartung. Das strahlende Weiß des Materials korrespondiert mit der ebensolchen Zukunft. Ich verbinde damit Reinheit, Ideal. Die symbolhafte Überhöhung der allegorischen Freiheitsbüste lässt sich mit den anderen Vitrinen verknüpfen, die Huldigung Wagners und Sempers erfährt eine gewisse Verstärkung. Und es kommt ein weit verbreitetes Repräsentationsmuster zum Tragen. Konkrete männliche Persönlichkeit versus mit weiblichen Körpern gefasste Vorstellungen.
Während der Thementext allgemein von politischen Flüchtlingen spricht, keine Prominenz erwähnt, setzt die Präsentation rein auf bekannte Namen. Die Objekttexte erzählen ihre Vita, ihre Leistungen, aber auch hier nicht, welche politischen Anliegen sie vertraten. Zu sehen sind Porträt/Büste, personenbezogene Dokumente wie Steckbrief und Pass sowie Werke. Aber wofür kämpfte Semper an vorderster Front? Keine politische Willensbekundung wird gezeigt, die die Revolutionäre verfasst, unterschrieben, vertreten haben. Und keine Informationen gibt es, ob die Personen das politische Engagement nach der Einreise in die Schweiz weiterbetrieben haben. Hervorgehoben wird ihr künstlerisch-berufliches Wirken. Ausstellungen setzen Schwerpunkte. Der Fokus kann natürlich auf die Flucht in die Schweiz gelegt werden. Doch in der hier erfolgten Weise werden glorifizierende Deutungen der Schweiz verstärkt nahegelegt: keine Informationen zum Gros der nicht bekannten Flüchtlinge, ihrer Lebensbedingungen und Ansehen in der Schweiz. Als Subtext kristallisiert sich die Deutung heraus, je bekannter ein Flüchtling ist, umso mehr kommt er der Schweiz zugute und findet Unterstützung. Eine sogenannte Win-win-Situation. Verbinde ich dies mit den anderen Themenbereichen, sehe ich einen Kontrast zur Präsentation des 20. Jahrhunderts, wo Schutzsuchende anonym als telefonierende Männer zu sehen sind, eingebettet in einem Text, der von Massen und Ängsten spricht. Eine Parallele gibt es jedoch zu den zugewanderten Persönlichkeiten: Wagner, Semper und Courbet bilden eine Weiterführung oder Ergänzung der 27 Personen, auf die stolz verwiesen wird.
Ein ähnliches Muster unterliegt dem nächsten Thema „Einwanderung der Religionsflüchtlinge“. Der Text beschreibt diese einleitend als „in ihrer Heimat an Leib und Leben bedroht“. Existentielle Gefährdung, Tod werden direkt thematisiert, das einzige Mal. (Flüchtlinge des 20. Jahrhunderts werden vage als Schutzsuchende präsent, ohne bedrohtes Leben anzusprechen.) Mitgefühl an verfolgten Schicksalen kann so erweckt werden.
Der Text schildert weiter, dass Religionsflüchtlinge des 16./17. Jahrhunderts sich „dauerhaft“ niederlassen und „Wohlstand und Bildung“ bringen, Unternehmen „gründen“, „erfolgreich“ sind. Das Narrativ fügt nun zur Empathie mit den Flüchtlingen auch Respekt für ihre Leistungen hinzu. Migration ist wieder von gegenseitigem Nutzen: Die Flüchtlinge finden Aufnahme, sind willkommen, können nicht nur ein gutes, sondern ein mit Prestige verknüpftes Leben aufbauen. Sie gliedern sich ein, tragen zur wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung bei, gehören dabei einer gehobenen Schicht an, sind Unternehmer*innen, keine mittellosen, auf Lohnarbeit oder Unterstützung angewiesene Flüchtlinge Die Schweiz profitiert von diesem Unternehmensgeist, von Wissen und Kenntnissen – wieder eine Parallele zu den prominenten Zugewanderten.
Was die Präsentation betrifft, ist das Thema klein dimensioniert, ohne auffällige Exponate. In einer kleinen Vitrine sind ein Musterbuch von Seidenbändern, deren Produktion laut Text zu den erfolgreichsten Wirtschaftszweigen zählte, und ein Kreuz der Hugenotten zu sehen, dessen Gestalt und Bedeutung beschrieben wird. Zudem wird eine Abbildung der Bartholomäus-Nacht in Paris gezeigt, der Text spricht von einem „schrecklichen Massaker“, „Tausende werden ermordet“. Die Objekte samt Objekttexte korrespondieren mit den beiden Absätzen des Thementextes, tödliche Gefahr und gelungene Integration.
Relativ umfangreich wird das letzte Thema „Solddienst“ präsentiert, also Arbeitsmigration von Schweizern, aber nicht unbedingt Auswanderung. Der Text klärt über die hohe Zahl von Söldnern in ausländischen Heeren auf und differenziert zwischen „Verdienstmöglichkeit für Männer“ und Geschäftsinteressen von Regimentskommandanten, ihnen wird „Reichtum und Macht“ beschert. Offen bleibt, wie dieses „Geschäft“ funktioniert. Geschäft klingt neutral. Aber geht es hier nicht um Menschen, keine Waren? Wenn man mit ihnen zu Reichtum kommt, kommt mir die Frage in den Sinn, ob dies auf Kosten der normalen Söldner geht? Der zweite Absatz widmet sich der Schweizer Garde: der Papst „engagiert“, „schenkt“ aus „Dankbarkeit für die militärische Unterstützung“ „kostbare“ Banner, ein „geweihtes“ Schwert. Krieg, Gewalt und Tod, die existenzielle Gefahr für das Leben, bleiben völlig außen vor, die gewählten Worte sind diesbezüglich unspezifisch, vage. Engagieren, unterstützen sind alltägliche, positiv besetzte Begriffe, ich nehme einen Dienst in Anspruch oder helfe jemand. Wertvolle Geschenke, Dankbarkeit rahmen glorifizierend, ehrend.
Die präsentierten Objekte korrespondieren weitgehend mit dem Text. Banner und Schwert sind zu sehen. Die Objekttexte sind im Wortgebrauch eine Wiederholung: Juliusbanner als „Anerkennung militärischer Unterstützung“, geweihtes Juliusschwert für „militärische Dienste“. Ist das Banner groß an der Wand abgehängt, ist das Schwert in einer rot gefärbten Vitrine, zusammen mit zwei Objekten einer Familie, die laut Objekttext mit Solddienst reich wurde: ein Wams, bei dem der Text Modeaspekte und Familie anreißt, und ein Pokal, zu dem über eine Person aus dieser Familie informiert wird. Dieser wird als „Schweizerkönig“ vorgestellt, der „hohes Ansehen“ genießt, „großes Vermögen“ hinterlässt. Wieder ist Prestige und Vermögen primär. Was ist mit den Männern, die im Solddienst eine Verdienstmöglichkeit suchten? Warum erfahren sie keine Repräsentation?
Ein Bild fällt aus dem Kontext heraus, ein „Mahnbild“. Gemahnt werden sollen laut Objekttext „weit gereiste“ Söldner, „sich nicht dem ungezügeltem Leben, der Geldgier und der Wollust hinzugeben“. Der mittig abgebildete Mann ist durch einen Lorbeerkranz am Kopf, eine Oberkörperrüstung, ein üppiges, rot-goldenes Beinkleid und eine große rote Fahne in seiner Hand charakterisiert. Die Frau an seiner Linken ist nackt, ihre weiß-glänzende Haut steht im Kontrast zur vollen Montur, zum Rot von Beinkleid und Fahne und sticht vor dem dunklen Hintergrund hervor. Sie ist dem Söldner zugewandt, der an ihr vorbeisieht, in den Händen einen Trinkpokal und eine Kette, die an einer Fußfessel am Knöchel des Mannes befestigt ist, vor ihr ein reich gedeckter Tisch. Rüstung, Schwert und Fahne helfen nichts, wenn eine auf „Verführung“ getrimmte Frau im Spiel ist. Das als generell gesetzte Frauenbild der sündigen Eva, die schon Adam verleitete, drängt sich auf. Doch es gibt noch eine Person. Sie kniet rechts vom Söldner – nun von Kopf bis Fuß von einer Rüstung bekleidet, durch das Visier nur vage ein Gesicht erkennbar, um den Kopf ein von mir nicht identifizierbares Dekor, in der Hand ein mir ebenfalls unbekanntes Wappen. Er ist im wahrsten Sinn gewappnet, ich assoziiere einen Ritter mit den ihm zugeschriebenen Tugenden. Ein Heilsversprechen.
Als historisches Bild entspricht die stereotype Darstellung von Geschlechtern, die diskriminierende Frauenrolle der damaligen Geschlechterordnung. Was heißt dies aber im Umgang mit solchen Bildern heute? In Anlehnung an Mieke Bals Analysen zur Wirkmächtigkeit von Bildsujets, solange diskriminierende Differenzen in einer Gesellschaft virulent sind, ist Sensibilisierung gefordert, da eine kritische Lesart nicht selbstverständlich vorausgesetzt werden kann. Im Zeigen wird ein Sujet immer auch aufgerufen. Das kontextlose Ausstellen im Landesmuseum zeugt von einem Negieren dieser jahrzehntelangen Diskurse – so meine Kritik.
Resümee
Ich ziehe aus den Analyseerkenntnissen ein paar Schlussfolgerungen zu den Ausstellungsweisen. In Bezug auf Räume, die immer als sozial verfasst zu verstehen sind, sind die Verortung und Raumatmosphäre von changierenden Charakteristiken in Bezug auf Gewichtigkeit und Repräsentativität, Verengen und Raum-Geben gekennzeichnet. Es wird eine geläufige Schau-Erfahrung geboten, keine Reflexions-, Erfahrungs- oder Erlebnisräume geschaffen. Der Parcour ist mit Ausnahme der Litfaßsäule wandgeleitet. Ich gehe die thematisch klar gegliederten Wände entlang, schau mir die auf Augenhöhe präsentierten Bilder und Objekte an, lese die Texte. Will ich das Präsentierte in dieser Gesamtheit nicht erfassen, blicke also auf meinem Weg nach links und rechts, ob mich individuell etwas anzieht, dann wird der gangartige Raum zwischen den bespielten Wänden für ein flanierendes Gehen eventuell zentraler.
Die Gestaltung setzt wenige Inszenierungsmittel ein: primär helle Stellwände, teilweise eingelassene farbige Vitrinen, übliche Beleuchtung durch abgehängte Spots und Innenlicht in Vitrinen und dort, wo es dunkler ist, hinterleuchtete Bilder. Konzipiert ist ein dezent-sachlich, „objektiv“ wirkender Raumteil für das Thema „Migration“, der zwar in der Beeindruckungsatmosphäre der Hallenarchitektur und der Ausstellungs-Szenografie eingebettet ist, aber für einige Themen am Rand, für andere ist die Einbettung unsichtbar. Im Kontrast zu den szenografischen Bespielungen der Halle besitzt der Migrationsteil keine vergleichbaren Attraktivitätsangebote. Und zusammen mit dem Umstand, dass Migration in der folgenden, sehr großen Ausstellung nicht mehr thematisiert wird, kann sich der Verdacht aufdrängen, dass das Thema eine Entlastungsfunktion für das Übrige hat. Aus dem Standpunkt heraus, dass Migration eine grundlegende Kategorie einer Gesellschaftsordnung und ihrer Geschichte ist, resultiert Kritik: Es reicht nicht, wenn das Museum lediglich im Sinne eines nunmehr geforderten Must-Have reagiert und der Haupterzählung etwas ergänzend hinzufügt. Einschluss ist immer eine Frage des Wie.
Präsentiert werden nur wenige Objekte, der Fokus liegt auf Abbildungen ohne Anspruch, eine originale Quelle zu sein. Es zählt hier allein das Bildmotiv. Gestalterische Kriterien bestimmen die Erscheinungsform der Abbildungen. Platzgreifende Thementexte fassen die zugehörigen Objekte in klar gegliederten Einheiten zusammen. Dies bestärkt die Raumwirkung der Geordnetheit und demonstriert die Wichtigkeit von Text, er soll gut sichtbar die Exponate rahmen. Als Ausstellungsintention sehe ich, einem Publikum in vorwiegend sachlichem Ton – mit gelegentlichen Mitfühlung evozierenden Wendungen – Informationen zu vermitteln und diese mit Exponaten zu unterlegen. Die Textaussagen und zugehörigen Exponate scheinen auf den ersten Blick inhaltlich zu korrespondieren. Doch bei genauerer Betrachtung der Exponate wird erkennbar, dass die Auswahl den Fokus auf bestimmte Narrative lenkt – etwa dass ein unterschiedlicher Subtext über aus der Schweiz Ein- und Auswandernde besteht oder dass Migration in positiven Licht erscheint, wenn sie Gewinn und Prestige für die Schweiz verspricht.
Autor*innenschaft wird nicht erkennbar ausgewiesen, versteckt sich in objektiv und allgemeingültig wirkenden Darlegungen. Damit werden die angebotenen Deutungen durch die Autorität Museum in der Weise eines „So ist es“ vermittelt, Mehrdeutigkeiten, Vielstimmigkeit, offene Fragen, Reflexionsangebote sind nicht zu finden. Das Publikum wird demnach als rein rezipierend gedacht. Es bedarf mitgebrachter Kenntnisse und Analysefähigkeit, um die Deutungsmacht darin zu erkennen, wie auf Ein- und Auswandernde mit welchen Effekten geschaut wird, wer und was ausgeschlossen bleibt und welche gesellschaftspolitischen Standorte zum Tragen kommen. Es kann gefolgert werden, dass sich in den Präsentationen ein autoritatives und monologisches Kommunikationsmodell spiegelt, wie es in vielen Ausstellungen zu finden ist. Dies wird zur Kritik, wenn auf Dialog und Teilhabe basierende Ausstellungsweisen eingefordert werden, wenn sich das Museum selbst ein anderes Leitbild gibt, als in der Praxis eingelöst wird.
Es mag Intention gewesen sein, Migration in gutem Licht darzustellen, ein identitätsstiftendes Bild der Schweiz als Zufluchtsort und Aufnahmeland zu zeichnen, die durch Einwanderung gewinnt – belegt durch Persönlichkeiten; und dort, wo es unvermeidbar ist, Konflikte anzusprechen, diese zu nivellieren, indem konträre Anschauungen in rein abbildender Weise repräsentiert werden, ohne Reflexionsraum. Das Anliegen einer Analyse sehe ich weniger darin, Intentionen zu erkennen, sondern welche Effekte das Zu-Sehen-Gegebene auslösen kann, welche Deutungen ermöglicht und nahe gelegt werden. Die Frage, ob die Ausstellungsmacher*innen ihre Ausstellungspraktiken bezüglich der Produktionsmacht von Zuschreibungen intendiert haben oder nicht, es ihnen an Sensibilisierungen für angebotene Bildsprachen und Subtexte mangelt oder sie Diskurse nicht rezipieren (wollen), ist für die Wahrnehmung einer Ausstellung, die Analyse dessen, was da ist, nicht von Belang. Mein analysierender Blick auf die Auswahl und Rahmung der Exponate zielten darauf, durch Assoziationen angeleitete Deutungen zu erhalten, diese kritisch in Bezug auf zugrundeliegende Denkrahmen, Blickregimes und gesellschaftspolitische Implikationen zu befragen. Und so aus meiner Positionierung heraus eine Kritik zu äußern, die in zugespitzter Kürze lautet: Die Ausstellung gerinnt zu einem weithin utilitaristisch angeleitetem Lehrstück vom Nutzen und Wert des Menschen für die und in der Schweiz. Je nachdem wird Stolz oder Angst ins Spiel gebracht.
Zur theoretischen Grundlegung von Ausstellungskritik siehe: Roswitha Muttenthaler: Methode und Zweck von Ausstellungsanalyse und Zweck
© museumdenken